Der Spuk ist vorbei

Mit dem neuen § 15a RVG hat der Gesetzgeber auf die als unbefriedigend empfundene und zu Recht kritisierte Rspr. des VIII. Senats des BGH reagiert. Nach der Rspr. des VIII. Senats war die Gebührenanrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren stets zu berücksichtigen. Seiner Auffassung zufolge entstand bei vorgerichtlicher Tätigkeit des Anwalts die Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren von vornherein vermindert um den jeweils nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnenden Betrag. Die gegen diese Entscheidung in Rspr. und Lit. vorgebrachte Kritik hat den VIII. Senat nicht zu einer Umkehr seiner Rspr. bewegen können. Im Gegenteil sind andere Senate dieser Rspr. – weitgehend ohne eigene Begründung – gefolgt.

Daraufhin musste der Gesetzgeber einschreiten und die Verhältnisse durch den neuen § 15a RVG wieder geraderücken.

Einige fortschrittliche Gerichte, allen voran das AG Wesel (AGS 2009, 312), haben bereits mit Verkündung und vor Inkrafttreten die neue Regelung des § 15a RVG im Wege der Auslegung herangezogen. Sie fühlten sich insbesondere in Anbetracht der Begründung des Gesetzgebers nicht mehr an die vom BGH vorgegebene Anrechnungspraxis gebunden.

Andere Gerichte haben die Anwendbarkeit des § 60 RVG verneint mit der Folge, dass die Vorschrift des § 15a RVG sofort, d.h. ab dem 5.8.2009 anzuwenden sei, und zwar auch in Altfällen (so LG Berlin AGS 2009, 367).

Nur einige Ewiggestrige haben weiterhin an der Anrechnungspraxis festgehalten und erklärt, die Nichtberücksichtigung der Anrechnung könne nur für solche Verfahren gelten, in denen dem Anwalt der Verfahrensauftrag nach dem 4.8.2009 erteilt worden sei (so LAG Hessen AGS 2009, 373).

Einen Querschnitt der Rechtsprechung finden Sie auf den Seiten 420, 444, 445 und 447 in diesem Heft.

Bei Drucklegung des Heftes konnte leider nicht mehr die Entscheidung des II. Senats des BGH vom 2.9.2009 (II ZB 35/07) berücksichtigt werden. Gleichwohl wollen wir den Lesern den erfreulichen Leitsatz nicht vorenthalten. Dieser lautet wie folgt:

"Der Gesetzgeber hat durch die Einfügung von § 15a Abs. 1 RVG (Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften, BGBl I S. 2449) die bereits unter Geltung des § 118 BRAGO und nachfolgend unter Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG bestehende Gesetzeslage klargestellt. Die Anrechnungsvorschrift wirkt sich danach grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. Im Kostenfestsetzungsverfahren musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist."

In seiner Entscheidung führt der II. Senat des BGH mit erstaunlicher Offenheit aus, dass er die Rspr. des VIII. Senats nie verstanden habe und dass diese jedenfalls jetzt nach der klarstellenden Begründung des Gesetzgebers auch nicht mehr haltbar sei. Angesichts des neuen Gesetzes hielt es der II. Senat nicht für erforderlich, den Großen Senat anzurufen.

Allerdings fragt man sich, wieso der II. Senat fast zwei Jahre brauchte, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen. Die jetzt entschiedene Rechtsbeschwerde ist bereits in 2007 eingelegt worden. Hätte der II. Senat den Mut gehabt, bereits früher gegen den VIII. Senat zu entscheiden, wäre ein § 15a RVG möglicherweise gar nicht erforderlich geworden.

Wie dem auch sei: Die verfehlte Anrechnungsrechtsprechung des BGH gehört damit jedenfalls endgültig der Vergangenheit an.

Lediglich eine allerletzte Frage bleibt. Aber auch die wird sicherlich bald entschieden werden, nämlich ob in Altfällen noch nachliquidiert werden kann. Ausgehend von der Entscheidung des II. Senats wird man dies bejahen müssen.

Soweit in Altfällen nur die um den Anrechnungsbetrag verminderte Verfahrensgebühr zur Kostenfestsetzung angemeldet worden war, muss der Restbetrag noch zur Nachfestsetzung angemeldet werden können. Soweit allerdings in Altfällen die ungekürzte Verfahrensgebühr zur Festsetzung angemeldet worden war und im Kostenfestsetzungsverfahren dann der Anrechnungsbetrag abgesetzt worden ist, kommt eine Nachfestsetzung grundsätzlich nicht mehr in Betracht, da hierüber bereits entschieden worden ist. Nur soweit diese Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, kann hier mit Erinnerung und Beschwerde nachgebessert werden.

Anders verhält es sich wiederum bei den Verfahren auf Festsetzung der PKH-Vergütung. Hier kann sowohl nachliquidiert werden als auch eine Absetzung nachträglich noch angegriffen werden, da hier die unbefristete Erinnerung gegeben ist.

Norbert Schneider

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