Nrn. 3200, 3201, 3500, Vorbem. 3.2.1 Nr. 2b VV RVG; §§ 85, 352e Abs. 1 FamG; §§ 97, 104 Abs. 3 S. 1 ZPO

Leitsatz

  1. Seit dem Inkrafttreten 2. KostRMoG erhält der im Beschwerdeverfahren eines Erbscheinsverfahrens tätige Rechtsanwalt grundsätzlich eine 1,6-fache Verfahrensgebühr gem. Nr. 3200 VV.
  2. Eine Ermäßigung auf eine 1,1-fache Gebühr gem. Nr. 3201 i.V.m. Anm. 2 Nr. 2 VV findet nur dann statt, wenn sich die anwaltliche Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung der Beschwerde sowie die Entgegennahme der gerichtlichen Entscheidung beschränkt, etwa weil der Beschwerdegegner sich im Beschwerdeverfahren nicht äußert.
  3. Im Falle eines kontradiktorisch geführten Beschwerdeverfahrens – etwa, wenn Schriftsätze gewechselt werden, widerstreitende Anträge gestellt werden, zu Hinweisen des Gerichts schriftsätzlich Stellung genommen wird oder es zu einem Termin kommt – greift diese Ermäßigung für keine der beiden Seiten.

OLG Braunschweig, Beschl. v. 10.3.2022 – 3 W 3/22

I. Sachverhalt

Das AG Braunschweig – Nachlassgericht – hatte durch Beschl. v. 15.7.2020 die zur Begründung des Erbscheinsantrags des Antragstellers erforderlichen Tatsachen gem. § 352e FamFG für festgestellt erachtet. Hiergegen hat einer der Verfahrensbeteiligten Beschwerde eingelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers hat die Beschwerdeschrift entgegengenommen, diese pflicht- und auftragsgemäß dahin überprüft, ob etwas für seinen Mandanten zu veranlassen ist, sowie einen Schriftsatz mit Sachantrag eingereicht. Das OLG Braunschweig hat die Beschwerde als unzulässig verworfen und dem Beschwerdeführer die Kosten des Beschwerdeverfahrens auferlegt.

Hieraufhin hat der Antragsteller die Festsetzung der ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten beantragt, darunter eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 i.V.m. Vorbem. 3.2.1 Nr. 2b VV. Der hierzu gehörte Beschwerdeführer hat die Auffassung vertreten, dem Rechtsanwalt des Antragstellers sei lediglich eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV, allenfalls eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV entstanden.

Der Rechtspfleger des Nachlassgerichts hat die dem Antragsteller vom Beschwerdeführer zu erstattenden Kosten antragsgemäß festgesetzt. Mit der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat der Beschwerdeführer die Festsetzung nur einer 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV begehrt.

Das OLG Braunschweig hat die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

II. Verfahrensgebühr im Erbscheins-Beschwerdeverfahren

1. Gesetzliche Regelung

Nach Vorbem. 3.2.1 Nr. 2b VV ist Teil 3 Abschn. 2 Unterabschn. 1 VV auch in Verfahren über Beschwerden gegen die Endentscheidung wegen des Hauptgegenstandes in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anzuwenden. Dies hat zur Folge, dass dem Verfahrensbevollmächtigten in solchen Beschwerdeverfahren nicht die für Beschwerden allgemein vorgesehene 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV anfällt, sondern – ebenso wie in einem Berufungsverfahren in einer Zivilsache – die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV. Diese Gebühr erhält der Verfahrensbevollmächtigte nach Vorbem. 3 Abs. 2 VV für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information.

Endet der Auftrag des Rechtsanwalts, ohne dass er eine der in Nr. 3201 VV aufgeführten Tätigkeiten ausgeübt hat, fällt die Verfahrensgebühr nur mit einem Gebührensatz von 1,1 an. Dies gilt nach Abs. 2 Nr. 2 der Anm. zu Nr. 3201 VV in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit dann, wenn eine eingeschränkte Tätigkeit des Anwalts vorliegt, etwa wenn sich seine Tätigkeit auf die Einlegung und Begründung des Rechtsmittels und die Entgegennahme der Rechtsmittelentscheidung beschränkt.

2. Anfall der 1,6-Verfahrensgebühr

Das OLG Braunschweig hat darauf hingewiesen, dass im Erbscheinsverfahren der im Beschwerdeverfahren tätige Rechtsanwalt grds. die 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV verdient (OLG Köln RVGreport 2019, 139 [Hansens] = JurBüro 2019, 246; OLG Jena, Beschl. v. 23.2.2016 – 1 W 84/16; OLG Stuttgart ZEV 2014, 356; OLG Frankfurt, Beschl. v. 3.5.2017 – 20 W 2/16). Soweit die gegenteilige Ansicht dem Rechtsanwalt in einem Erbscheins-Beschwerdeverfahren lediglich eine 0,5-Verfahrensgebühr nach Nr. 3500 VV zugebilligt hat (s. OLG München RVGreport 2006, 307 [Hansens] = AGS 2006, 475 m. Anm. N. Schneider), beruhe dies auf der vor dem Inkrafttreten des 2. KostRMoG geltenden Fassung des RVG. Mit Wirkung zum 1.8.2013 seien die Beschwerden in Erbscheinsachen gebührenrechtlich der Berufung in einer Zivilsache gleichgestellt (s. OLG Stuttgart ZEV 2014, 356; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 25. Aufl., 2021, Nr. 3500 VV RVG Rn 4).

Folglich reicht es nach den weiteren Ausführungen des OLG Braunschweig für den Anfall der 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV im Erbscheins-Beschwerdeverfahren grds. aus, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdegegners beauftragt ist und im Beschwerdeverfahren tätig geworden ist. Hierzu genüge es, dass der Rechtsanwalt über die bloße Entgegennahme der Beschwerdeschrift hinaus eine der folgenden Tätigkeiten ausgeübt habe: Die pflicht- und ...

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