§§ 60, 17 Nr. 10 RVG; § 143 StPO

Leitsatz

Ist der Anwalt vor dem 1.1.2021 in einem erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden und verteidigt er den Angeklagten nach dem 31.12.2020 auch in einem Rechtsmittelverfahren, dann richtet sich nur die Vergütung der ersten Instanz nach altem Gebührenrecht. Für das Rechtsmittelverfahren gilt dagegen neues Gebührenrecht.

AG Korbach, Beschl. v. 6.1.2023 – 41 Ls-4750 Js 20444/19

I. Sachverhalt

Der Anwalt war am 10.7.2020 im erstinstanzlichen gerichtlichen Verfahren als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Angeklagte wurde in der Hauptverhandlung vom 28.4.2021 verurteilt. Gegen dieses Urteil legte der Pflichtverteidiger Berufung ein und erhob später auch noch gegen das Berufungsurteil Revision. Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens rechnete er seine Vergütung mit der Landeskasse ab. Dabei berechnete er seine Gebühren und Auslagen in erster Instanz nach der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung des RVG und die Gebühren und Auslagen für die beiden Rechtsmittelverfahren nach der ab dem 1.1.2021 geltenden Fassung. Der Urkundsbeamte setzte die Vergütung für alle drei Instanzen lediglich nach dem alten Gebührenrecht fest. Dies begründete er damit, dass die Bestellung am 10.7.2020 erfolgt sei und damit für alle Instanzen das zu diesem Zeitpunkt geltende Vergütungsrecht anzuwenden sei. Die hiergegen erhobene Erinnerung hat Erfolg.

II. Gesonderte Prüfung für jede Instanz

Bei dem erstinstanzlichen Verfahren und den Rechtsmittelverfahren handelt es sich gem. § 17 Nr. 10 RVG um verschiedene Angelegenheiten. Daher ist für jede Angelegenheit die Anwendung des maßgeblichen Vergütungsrechts gesondert zu prüfen.

III. Grundsätzlich Bestellung maßgebend

Grds. ist dabei nach § 60 Abs. 1 S. 1 RVG auf den Zeitpunkt der Auftragserteilung abzustellen. Liegt – wie hier – kein Auftrag zugrunde, weil der Anwalt vom Gericht bestellt wurde, ist auf den Zeitpunkt der Bestellung abzustellen (§ 60 Abs. 1 S. 3 RVG). Dies führt vorliegend erstinstanzlich dazu, dass altes Gebührenrecht anzuwenden ist.

IV. Ausnahme für Rechtsmittelverfahren

Hinsichtlich der Rechtsmittelverfahren fehlt es ebenfalls an einem Auftrag, da der Anwalt vom Gericht bestellt worden ist. Würde man auch hier auf den Zeitpunkt der Bestellung abstellen, bliebe es auch für diese Instanzen beim alten Recht. Insoweit ordnet allerdings § 60 Abs. 2 S. 4 RVG an, dass in den Fällen einer Bestellung, die sich auch auf zukünftige Angelegenheiten erstreckt, ungeachtet des Zeitpunkts der Bestellung neues Gebührenrecht anzuwenden ist, wenn die weitere Angelegenheit erst nach Inkrafttreten der Gesetzesänderung beginnt. Ein solcher Fall lag hier vor. Die Pflichtverteidigerbestellung erstreckte sich nicht nur auf die erste Instanz, sondern auch auf das Berufungs- und Revisionsverfahren (§ 143 Abs. 1 StPO). Da beide Rechtsmittelverfahren aber erst nach Inkrafttreten der neuen Gesetzesfassung eingeleitet wurden, ist insoweit neues Recht anzuwenden.

V. Bedeutung für die Praxis

Im Gegensatz zur Prozesskostenhilfe wird ein Pflichtverteidiger nicht für jede Instanz gesondert bestellt, sondern von vornherein für alle Instanzen (§ 143 Abs. 1 StPO). Daher kann hier nicht auf den Auftrag zur jeweiligen Instanz abgestellt werden; vielmehr ist hier darauf abzustellen, wann die nächste Instanz eingeleitet worden ist. Insoweit ist auch noch zu berücksichtigen, dass das Einlegen eines Rechtsmittels nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zur Vorinstanz gehört, sodass die Rechtsmittelinstanz erst mit der ersten Tätigkeit beginnt, die der Rechtsmitteleinlegung nachfolgt.

Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen

AGS 4/2023, S. 162

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