Die Kammer geht nämlich davon aus, dass die vom Verteidiger erbrachte Tätigkeit jedenfalls nicht erstattungsfähig sei, da sie im konkreten Fall nicht notwendig gewesen sei (§ 464a Abs. 2 Nr. 2 StPO, § 91 Abs. 2 ZPO). Die Notwendigkeit der Tätigkeit des Verteidigers im Berufungsrechtszug, also die Frage, ob die Gebühr nach Nr. 4124 VV verdient ist, wenn die Staatsanwaltschaft ein zu Ungunsten eingelegtes Rechtsmittel noch vor dessen Begründung zurücknimmt, werde in der Rspr. hinsichtlich des Rechtsmittels der Berufung uneinheitlich beurteilt (zum Streitstand zuletzt OLG Stuttgart AGS 2021, 171). Dazu meint das LG, dass Verteidigertätigkeit in einem auf alleiniges Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft geführten Rechtsmittelverfahren grds. nicht notwendig sei, wenn die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel lediglich eingelegt, aber noch nicht begründet habe und sie es vor der Begründung zurück nehme. Dies sei für das Rechtsmittel der Revision in der obergerichtlichen Rspr. anerkannt (statt vieler OLG Köln AGS 2015, 511), da bereits die Vorschriften des Revisionsrechts mit dem zwingenden Erfordernis einer Revisionsbegründung, die inhaltlich bestimmten Voraussetzungen unterliege (§§ 344347 StPO) zwingende Voraussetzung für den Fortgang des Revisionsverfahrens sei. Ein rechtlich anzuerkennendes Interesse des Verurteilten/Freigesprochenen sich bereits vor Eingang dieser Begründung anwaltlich beraten und sich gegen das Rechtsmittel verteidigen zu lassen, bestehe deshalb gerade nicht. Es sei zu diesem Zeitpunkt stets damit zu rechnen, dass die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel nicht weiterverfolge und zurücknehme. Zudem könne eine sachgerechte und seriöse anwaltliche Einschätzung der Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels erst dann erfolgen, wenn anhand der Rechtsmittelbegründung der Umfang der Anfechtung und auch die inhaltliche Zielsetzung bekannt sei (OLG Koblenz StraFo 2018, 402 12 m.w.N.).

Für das Berufungsverfahren gilt nach Auffassung des LG nichts anderes (vgl. zuletzt OLG Stuttgart, a.a.O.; ausführlich auch KG RVGreport 2012, 187). Zwar sei es zutreffend, dass das Gesetz eine zwingende Begründung der Berufung nicht verlangt. Eine solche sei aber prozessual vorgesehen (§§ 317, 320 S. 1 StPO) und darüber hinaus sei die Staatsanwaltschaft nach Nr. 156 RiStBV daran gehalten die Berufung zu begründen. Die Berufungsbegründung ist letztlich lediglich keine formelle Voraussetzung für ihre Zulässigkeit – dies unterscheidet sie von der Revisionsbegründung. Ihre Begründung i.S.d. Rechtfertigung sei aber in § 320 S. 2 StPO für die Staatsanwaltschaft vorgesehen und entspreche auch dem Rechtsmittelverfahren im Instanzenzug nach Urteil. Dies gilt insbesondere im Falle eines Freispruchs, in dem die Staatsanwaltschaft im Berufungsverfahren eine Verurteilung erreichen wolle, zumal, wenn, wie vorliegend, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft selbst Freispruch beantragt habe.

Sämtliche Erörterungen des Verfahrensstandes sowie sonstige Tätigkeiten des Verteidigers mit dem Mandanten im Verfahrensstadium zwischen Berufungseinlegung und -begründung seien objektiv also überflüssig und für den Mandanten auch ohne jeglichen objektiven Wert. Denn Umfang und Zielrichtung des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels seien aller Regel erst aus deren Begründung zu ersehen, mit dessen Eingang sich der Verteidiger in die Lage versetzt sehe, den Mandanten sachgerecht zu beraten und das Verfahren weiter zu beeinflussen. Jegliche Vorabberatung erscheine lediglich spekulativ möglich zu sein und könne letztlich nur Mutmaßungen über den Umfang und die etwaige Erfolgsaussicht des Rechtsmittels enthalten (vgl. KG, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.). Hier verfange auch der Verweis des Verteidigers auf das Urteil des BGH in NJW 2003, 756 betreffend die Situation im zivilrechtlichen Berufungsverfahren nicht. Denn die dortige Argumentation, es könne der mit einem Rechtsmittel überzogenen Partei nicht zugemutet werden, die weitere Entschließungen des anwaltlich vertretenen Berufungsklägers abzuwarten, sei der Tatsache geschuldet, dass in § 517 ZPO die Frist zur Einlegung der Berufung erst mit der Zustellung des vollständig abgefassten erstinstanzlichen Urteils beginnt. Die Grundlage für Besprechungen mit der Mandantschaft seien daher gänzlich andere als im Strafprozess (vgl. dazu zuletzt OLG Köln, a.a.O.).

An dieser Beurteilung ändert sich nach Auffassung der LG auch im konkreten Einzelfall nichts. Dass hier ausnahmsweise bereits mit der Einlegung der Berufung durch die Staatsanwaltschaft ein Handeln des Verteidigers deshalb notwendig gewesen sei, weil es sich um eine Berufung gegen ein freisprechendes Urteil gehandelt habe, und somit der ehemaligen Angeklagte unter bestehendem Anklagevorwurf in einem Zustand der Ungewissheit verharrt, rechtfertige es nicht, eine Rechtsberatung in einem einen eigenständigen Kostenanspruch im Berufungsverfahren begründenden Umfang bereits im Zeitpunkt nach Einlegung und vor Begründung des Rechtsmittels als ...

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