Die Staatsanwaltschaft warf dem Beschwerdeführer mit einer 156 Seiten umfassenden Anklageschrift die Begehung von 11 Straftaten des versuchten Totschlags gem. §§ 212, 22, 23 StGB sowie von 3 Straftaten der Körperverletzung mit Todesfolge gem. § 227 StGB (Behandlung ohne medizinische Indikation) vor. Bereits im Ermittlungsverfahren bestellten sich Rechtsanwalt Dr. H. (am 7.6.2012) und Rechtsanwalt Prof. Dr. S. (am 15.6.2012) als Wahlverteidiger. Beide Rechtsanwälte sind Fachanwälte für Strafrecht. Rechtsanwalt Prof. Dr. S. ist ein in Revisionssachen erfahrener Fachanwalt für Strafrecht mit dem Spezialgebiet Mord- und Totschlagsverfahren. Rechtsanwalt Dr. H. ist nicht nur Fachanwalt für Strafrecht, sondern auch Fachanwalt für Medizinrecht. Er vertrat den Freigesprochenen vor seiner Mandatierung im vorliegenden Verfahren bereits gegenüber seinem Arbeitgeber, der Universitätsmedizin Göttingen, und gegenüber der Bundesärztekammer im berufsrechtlichen Verfahren. Beide Verteidiger arbeiteten im Strafverfahren arbeitsteilig zusammen. Während Dr. H. vorrangig die sog. Indikationsfälle bearbeitete, wandte sich Prof. Dr. S. primär den sog. Manipulationsfällen (Einflussnahme auf das Zuteilungsverfahren) zu.

Das zuständige LG Göttingen sprach den Beschwerdeführer nach 64 Hauptverhandlungstagen frei. Der BGH verwarf die von der Staatsanwaltschaft gegen das 1.232 Seiten umfassende Urteil eingelegte und mit der Sachrüge begründete Revision. Die Kosten beider Instanzen und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers wurden gem. § 467 Abs. 1 StPO der Staatskasse auferlegt.

Rechtsanwalt Prof. Dr. S. hat daraufhin namens und in Vollmacht des Beschwerdeführers gem. § 464b StPO, § 104 ZPO beantragt, die notwendigen Auslagen festzusetzen. Den zu erstattenden Betrag hat er im Antrag auf 163.099,86 EUR (1. Instanz) sowie auf 5.260,40 EUR (Revisionsinstanz) beziffert und entsprechende Honoraraufstellungen beigefügt. Darin sind die notwendigen Auslagen für beide Wahlverteidiger enthalten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die erstinstanzlichen Honoraraufstellungen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. über 78.340,56 EUR und des Rechtsanwalts Dr. H. über 84.759,30 EUR sowie die zweitinstanzlichen Honoraraufstellungen des Rechtsanwalts Prof. Dr. S. über 2.883,73 EUR und des Rechtsanwalts Dr. H. über 2.376,67 EUR verwiesen.

Zwar seien – so Rechtsanwalt Prof. Dr. S. – die Kosten mehrerer Wahlverteidiger im Regelfall nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen. Die Rspr. lasse aber über den Wortlaut des § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO (seit 1.7.2014: § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO) hinaus Ausnahmen zu. Denn die Vorschrift sei lediglich als Grundsatz zu verstehen. Das KG habe schon 1994 mit Recht in exzeptionellen Fällen bei zwei Wahlverteidigern nicht nur die Kosten eines Wahlverteidigers, sondern für den zweiten Wahlverteidiger auch die hypothetischen Kosten eines Pflichtverteidigers für ersatzfähig erachtet, wenn die Mitwirkung von zwei Verteidigern aus Gründen der gerichtlichen Fürsorge oder zur Sicherung des Verfahrensfortganges notwendig gewesen wäre. Die Vergütung für den zweiten Wahlverteidiger könne in der Höhe der eines Wahlverteidigers entsprechen, wenn ein Pflichtverteidiger einen Anspruch auf Festsetzung einer Pauschgebühr gehabt hätte. Ein freigesprochener Angeklagter, bei dem für die finanzielle Haftung nicht an dessen vorangegangenes deliktisches Verhalten angeknüpft werden könne, sei von Kosten zu entlasten, die durch Umstände verursacht wurden, die er nicht zu vertreten habe.

Dieser Gedanke greife auch im Fall des Beschwerdeführers ein, weil das Strafverfahren exzeptionelle fachlich-intellektuelle und administrative Anforderungen an die Verteidigung gestellt habe. Prof. Dr. S. habe den Freigesprochenen mehr als 65 Mal und Rechtsanwalt Dr. H. über 50 Mal in der JVA aufgesucht. Zudem hätten die Verteidiger mit dem Angeklagten an mindestens 100 Tagen gemeinsame Besprechungen durchgeführt. Weitere zahllose Besprechungstermine hätten die beiden Wahlverteidiger unter vier Augen durchgeführt. Die Verteidigung habe mehr als 500 englischsprachige Studien über Transplantationen und andere einschlägige Krankheitsbilder gelesen und archiviert. Insgesamt seinen mehr als 700 überwiegend in englischer Sprache abgefasste medizinische Fachaufsätze zu beschaffen und auszuwerten gewesen.

Die Schwurgerichtskammer habe wegen des extremen Umfangs der Sache Ersatzberufsrichter sowie Ersatzschöffen bestellt. Auch habe die Staatsanwaltschaft immer zwei Sitzungsvertreter entsandt. Der Vorsitzende der Schwurgerichtskammer habe schon bei der Terminierung fest eingeplant, dass keiner der beiden Verteidiger an allen Hauptverhandlungsterminen zur Verfügung stehe und die Verteidiger sich deshalb an einzelnen Tagen wechselseitig vertreten müssten.

Die zuständige Rechtspflegerin beim LG hat nach Anhörung der Bezirksrevisorin die von der Landeskasse zu erstattenden notwendigen Auslagen auf 84.821,07 EUR nebst Zinsen festgesetzt. I.Ü. hat si...

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