Stehe fest, dass der Unternehmer sowohl für die Vertragsverhandlungen als auch für den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwendet habe, werde nach § 312c Abs. 1 BGB widerleglich vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abgeschlossen worden sei. Es obliege dann dem Unternehmer – hier der Beklagten – darzulegen und zu beweisen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs – oder Dienstleistungssystems erfolgt ist. Ein Rechtsanwalt, der einen Anwaltsvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen habe, müsse darlegen und beweisen, in welcher Form er seine Rechtsanwaltskanzlei im Hinblick auf Verhandlungen und Abschluss eines Anwaltsvertrages organisiert habe. Dabei müsse er in erster Linie darlegen und beweisen, dass die für ein auf den Fernabsatz ausgerichtetes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem sprechenden Indizien in seinem Fall keinen Rückschluss darauf zulassen, seine Rechtsanwaltskanzlei sei darauf eingerichtet, Verträge im Rahmen eines solchen Systems zu bewältigen.

Nach Auffassung des BGH lagen hier mehrere Indizien dafür vor, dass die Beklagte im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem eingerichtet hat. Zwar könne bei einem Rechtsanwalt ein solches System nicht bejaht werden, wenn dieser lediglich die technischen Möglichkeiten zum Abschluss eines Anwaltsvertrags im Fernabsatz, etwa einen Briefkasten, elektronische Postfächer und/oder Telefon- und Faxanschlüsse vorhalte, die auch sonst zur Bewältigung des Betriebs einer Anwaltskanzlei erforderlich seien. Die hier vorliegenden Indizien gingen jedoch – so der BGH – weit darüber hinaus. Erhebliche Bedeutung komme dabei dem Internetauftritt der Beklagten zu: Die planmäßige Werbung eines Unternehmens mit dem Angebot eines Vertragsschlusses unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln spreche für eine Fernabsatzorganisation. Weitere Indizien seien die Spezialisierung der Beklagten auf ein begrenztes Rechtsgebiet, die deutschlandweite Tätigkeit, die über Ihre Homepage erfolgende deutschlandweite Werbung sowie die bis zu 200 Neuanfragen für Mandate im Monat aus ganz Deutschland bei nur einem Hauptsitz und drei weiteren Kontaktstellen.

Diese Indizien habe die Beklagte nicht entkräftet. Die vom LG für seine gegenteilige Auffassung herangezogenen Umstände seien schon aus Rechtsgründen dazu nicht geeignet. Unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen die Beklagte bereit sei, einen Anwaltsvertrag abzuschließen, sei hierfür nicht entscheidend. Zwar könne eine besondere Individualisierung der Vertragserklärung einen Hinweis darauf bieten, dass das anbietende Unternehmen nicht über eine hinreichende Fernabsatzorganisation verfüge (BGH NJW 2019, 303). Dies allein genüge jedoch nicht, um den dem Unternehmer obliegenden Beweis zu führen. Für ein Fernabsatzsystem sei nicht das Ob eines Vertragsschlusses wesentlich, sondern die Art und Weise, wie Vertragsverhandlungen, ein Vertragsangebot, eine Vertragsannahme und die hierfür erheblichen Umstände innerhalb des Unternehmens im Hinblick auf den Einsatz von Fernkommunikationsmitteln organisatorisch behandelt werden. Daher erfordere ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem nicht, dass jedes mit Fernkommunikationsmitteln unterbreitete Vertragsangebot angenommen werde oder jedem interessierten Mandanten stets ein Angebot zum Abschluss eines Mandatsvertrags unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln unterbreitet werde. Es sei daher unerheblich, dass die Beklagte sich vorbehalte, Mandate abzulehnen. Ebenso spiele es keine Rolle, ob die Beklagte eine weitere Übernahme des Mandats erst nach einer Erstberatung in Betracht ziehe, wenn diese Erstberatung – wie auch hier – ebenfalls unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln erfolge. Schließlich komme es nicht darauf an, ob die Beklagte ihr Angebot zum Abschluss eines Anwaltsvertrags erst nach Kenntnis von Einzelheiten des Falles und nach einem persönlichen telefonischen Kontakt unterbreite, sofern hierfür ausschließlich Fernkommunikationsmittel genutzt werden. Alle diese Umstände betreffen (nur) die Frage, unter welchen inhaltlichen Voraussetzungen die Beklagte gewillt sei, einen Anwaltsvertrag zu schließen. Sie würden hingegen keine Auskunft darüber geben, dass die Beklagte Anwaltsverträge nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abschließt.

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