Außergerichtliche Vertretung kann nachfolgen

Eine außergerichtliche Vertretung muss einem selbstständigen Beweisverfahren nicht zwingend vorangehen. Sie kann dem Beweisverfahren auch nachfolgen. Es stellt sich dann die Frage, ob und inwieweit eine Anrechnung vorzunehmen ist.

 

Beispiel

Der Anwalt wird vom Antragsgegner erstmals im selbstständigen Beweisverfahren zur Feststellung von Baumängeln beauftragt (Streitwert 10.000,00 EUR). Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem der Anwalt teilnimmt. Nach Eingang des Gutachtens und Abschluss des selbstständigen Beweisverfahrens wird der Anwalt für den Auftraggeber auftragsgemäß außergerichtlich tätig. Er verhandelt mit dem Gegner und erzielt eine Einigung, sodass es nicht mehr zu einem Hauptsacheverfahren kommt.

Vergütung im Beweisverfahren nach den Nrn. 3100 ff. VV

Zunächst einmal hat der Anwalt den Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren vertreten und erhält hierfür die Vergütung nach Teil 3 Abschnitt 1 VV. Es entsteht also eine 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV).

Sachverständigentermin löst Terminsgebühr aus

Für die Teilnahme an dem Sachverständigentermin erhält der Anwalt darüber hinaus eine 1,2-Terminsgebühr nach Nr. 3104 VV (Vorbem. 3 Abs. 3, 2. Alt. VV). Hinzu kommen Auslagen und Umsatzsteuer.

Außergerichtliche Vergütung nach Teil 2 VV

Mit Erhalt des Gutachtens war das selbstständige Beweisverfahren abgeschlossen, jedenfalls nach einer angemessenen Frist, in der noch weitere Anträge hätten gestellt werden können. Der nachfolgende Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung ist daher nach Teil 2 VV abzurechnen. Ein Klageauftrag für ein eventuelles Hauptsacheverfahren bestand nicht, zumal der Antragsgegner in der Regel keine Veranlassung hat, Hauptsacheklage zu erheben oder dafür einen Auftrag zu erteilen.

Angefallen ist somit eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, wobei hier von der Mittelgebühr ausgegangen werden soll. Hinzu kommt eine 1,5-Einigungsgebühr nach Nr. 1000 VV nebst Auslagen und Umsatzsteuer.

Keine Anrechnung der Verfahrensgebühr

Eine Anrechnung der Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf eine nachfolgende Geschäftsgebühr ist im Gesetz nicht vorgesehen. Nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV wird die Verfahrensgebühr eines Beweisverfahrens lediglich auf die nachfolgende Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens, also in der Regel die eines Hauptsacheverfahrens, angerechnet, nicht aber auch auf eine nachfolgende außergerichtliche Vertretung.

Anrechnung der Geschäftsgebühr

Eine Anrechnung ergibt sich jedoch aus Vorbem 3 Abs. 4 VV. Danach ist eine Geschäftsgebühr nicht nur auf eine nachträglich entstehende Verfahrensgebühr anzurechnen, sondern auch auf eine vorangegangene – also bereits entstandene – Verfahrensgebühr. Dies ist mit dem 2. Justizmodernisierungsgesetz vom 22.12.2006 klargestellt worden. Bis dato hieß es in Vorbem. 3 Abs. 4 VV lediglich, dass eine Geschäftsgebühr auf eine Verfahrensgebühr anzurechnen ist, die "entsteht". Mit dem 2. Justizmodernisierungsgesetz wurde die Anrechnungsvorschrift jedoch klarstellend dahingehend abgeändert, dass die Geschäftsgebühr auch auf eine bereits entstandene Verfahrensgebühr anzurechnen ist.

Rückwirkende Anrechnung

Diese Anrechnung führt streng genommen dazu, dass sich die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens im Nachhinein um den Anrechnungsbetrag reduziert. Soweit diese Gebühr bereits abgerechnet ist, müsste dann also bei Abrechnung der Geschäftsgebühr eine entsprechende Gutschrift für das selbstständige Beweisverfahren erteilt werden. Danach wäre wie folgt zu rechnen:

 

Abrechnung bei rückwirkender Anrechnung im Beweisverfahren

I. Gerichtliches Verfahren (erste Abrechnung)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   631,80 EUR
2. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   583,20 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.235,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV    234,65 EUR
Gesamt 1.469,65 EUR

II. Außergerichtliche Vertretung

 
1. 1,5-Geschäftgebühr, Nr. 2300 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   729,00 EUR
2. 1,5-Einigungsebühr, Nr. 1000 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   729,00 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.478,00 EUR  
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV    280,82 EUR
Gesamt 1.758,82 EUR

III. Gerichtliches Verfahren (Nachberechnung)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   631,80 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 10.000,00 EUR   -364,50 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV (Wert: 10.000,00 EUR)   583,20 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 870,50 EUR  
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV    165,40 EUR
Gesamt 1.035,90 EUR
  hierauf bereits gezahlt   -1.469,65 EUR
  Gutschrift (in der Gutschrift enthalten sind 56,83 EUR Umsatzsteuer)   -433,75 EUR

Insgesamt erhält der Anwalt

 
I. Gerichtliches Verfahren   1.469,65 EUR
II. Gutschrift   -433,75 EUR
III. Außergerichtliche Vertretung   1.758,82 EUR
Gesamt 2.794,72 EUR

Abrechnung...

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