I. Problemstellung

Eine Rechtsanwaltskanzlei darf Geschäftsräume an verschiedenen Orten unterhalten. Dies kann zu Problemen bei der Abrechnung und der Erstattung der Reisekosten führen. Es stellt sich die Frage, ob bei Reisen zwischen den einzelnen Standorten überhaupt Reisekosten entstehen, und wenn ja, ob diese dann auch erstattungsfähig sind.

Geschäftsreise ist erforderlich

Ausgangspunkt für beide Fragen ist die Vorbem. 7. Abs. 2 VV, nämlich die Frage, ob eine Geschäftsreise vorliegt. Diese wiederum setzt begrifflich voraus, dass das Reiseziel außerhalb der Gemeinde liegt, in der sich die Kanzlei oder die Wohnung des Rechtsanwalts befindet. Nur dann liegt eine Geschäftsreise vor, so dass der Anwalt Reisekosten abrechnen darf. Soweit keine Geschäftsreise vorliegt, sind die Nrn. 7003 ff. VV nicht anwendbar.

II. Mögliche Konstellationen

Zweigstellen sind erlaubt

Ein Rechtsanwalt darf Zweigstellen betreiben, also weitere unselbstständige Geschäftsräume an einem anderen Ort. Die Errichtung einer solchen Zweigstelle ist der eigenen Rechtsanwaltskammer unverzüglich anzuzeigen (§ 27 Abs. 2 BRAO). Eine Zweigstelle ist dabei auch im Bezirk einer anderen Rechtsanwaltskammer zulässig. Eine Mitgliedschaft in dieser Rechtsanwaltskammer ist damit aber nicht verbunden.

Auch eigenständige Kanzleien sind möglich

Mehrere (selbstständige) Kanzleien an verschiedenen Orten können sich andererseits aber auch zu einer überörtlichen Sozietät, einer überörtlichen Partnerschaftsgesellschaft, GmbH oder AG zusammenschließen. In diesen Fällen werden keine (unselbstständige) "Zweigstellen" unterhalten, sondern eigenständige Kanzleien mit eigenen Anwälten, die am jeweiligen Kanzleistandort tätig und zugelassen sind. Das kann je nach örtlichen Gegebenheiten auch dazu führen, dass die Mitglieder einer überörtlichen Sozietät, Partnerschaft, GmbH oder AG bei verschiedenen Rechtsanwaltskammern zugelassen sind, je nachdem, welcher Kanzlei sie angehören.

III. Reisekosten bei Zweigstellen

Rechtsprechung lehnt Geschäftsreise ab

Unterhält ein Anwalt eine Zweigstelle, betreibt er also neben seiner Kanzlei am Hauptsitz weitere Kanzleiräume an einem anderen Ort, dann sollen nach der Rechtsprechung beide Standorte zum Betrieb derselben Kanzlei gehören (OLG Koblenz AGS 2015, 507 = NJW-RR 2015, 1408 = MDR 2015, 860 = NJW-Spezial 2015, 699 = FamRZ 2016, 25; OLG Dresden AGS 2011, 275 = NJW 2011, 869 = Rpfleger 2011, 240 = RVGreport 2011, 145). Die Kanzlei des Anwalts soll danach also faktisch mehrere Geschäftssitze haben. Dies führt wiederum dazu, dass eine Geschäftsreise nur dann vorliegt, wenn das Ziel der Reise weder am Ort des Hauptsitzes noch am Ort einer Zweigstelle liegt, also an einem dritten Ort.

 

Beispiel

Der Anwalt hat seine (Haupt-)Kanzlei in A und eine Zweigstelle in B.

In diesem Fall erhält der Anwalt weder für Geschäftsreisen zum Gericht in A noch zum Gericht in B Reisekosten, weil seine Kanzlei als an beiden Orten ansässig anzusehen ist. Mangels einer Geschäftsreise i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV stellt sich die Frage der Erstattung in diesem Fall erst gar nicht.

Insoweit ist es auch unerheblich, von wo der Anwalt anreist. Hat der Anwalt also bspw. einen Termin beim AG B und reist er zu diesem Termin von seinem Hauptsitz in A an, kann er nach der Rechtsprechung dennoch keine Reisekosten verlangen, weil es tatbestandlich bereits an einer Geschäftsreise i.S.d. Vorbem. 7 Abs. 2 VV fehlt.

Widerspruch zur Anreise vom Wohnort

Diese Rechtsprechung widerspricht allerdings der Rechtsprechung zur Ortsverschiedenheit von Wohnsitz und Kanzleisitz des Anwalts (OLG Düsseldorf AGS 2012, 167 = zfs 2012, 287 = NJW-RR 2012, 764 = JurBüro 2012, 299 = Rpfleger 2012, 412 = RVGreport 2012, 189). Nach dem Wortlaut der Vorbem. 7 Abs. 2 VV liegt eine Geschäftsreise zwar auch dann nicht vor, wenn der Anwalt am Ort des Gerichtes wohnt, seine Kanzlei allerdings außerhalb des Gerichtsorts hat. Hier stellt die Rechtsprechung jedoch darauf ab, ob der Anwalt von seiner Kanzlei oder von seinem Wohnort aus zum Gericht fährt.

 

Beispiel

Der Anwalt wohnt in A und hat seine Kanzlei in B. Er nimmt an einem Gerichtstermin in A teil.

Fährt der Anwalt morgens von Zuhause in A zum Gerichtstermin nach A, dann liegt nach der Rechtsprechung keine Geschäftsreise vor. Fährt er dagegen morgens vor dem Termin noch in seine Kanzlei nach B und anschließend dann zum Termin nach A, wird von der Rechtsprechung dagegen eine Geschäftsreise angenommen, so dass Reisekosten anfallen (OLG Düsseldorf AGS 2012, 167 = zfs 2012, 287 = NJW-RR 2012, 764 = JurBüro 2012, 299 = Rpfleger 2012, 412 = RVGreport 2012, 189).

Die dadurch angefallenen Kosten werden auch als erstattungsfähig angesehen (OLG Düsseldorf AGS 2012, 167 = zfs 2012, 287 = NJW-RR 2012, 764 = JurBüro 2012, 299 = Rpfleger 2012, 412 = RVGreport 2012, 189).

IV. Reisekosten bei verschiedenen Kanzleien

Rechtsprechung nimmt Geschäftsreise an

Anders verhält es sich, wenn eine Rechtsanwaltsgemeinschaft mehrere eigenständige Kanzleien an verschiedenen Orten betreibt. In diesem Fall liegt auch dann eine Geschäftsreise vor, wenn der Anwalt einer Kanzlei zu einem Gerichtstermin an einen Ort reist,...

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