In der Praxis bereitet immer wieder die Abrechnung Schwierigkeiten, bei der mehrere Anrechnungsvorgänge aufeinander folgen. Es fragt sich dann, ob von einer nachfolgenden Angelegenheit nur noch der nach Anrechnung verbleibende Differenzbetrag anzurechnen ist oder die volle Gebühr, so wie sie sich vor der Anrechnung darstellt.

Häufig wird die Auffassung vertreten, anzurechnen sei nur das nach Anrechnung verbleibende Gebührenaufkommen, da ja nicht mehr angerechnet werden könne, als der Anwalt erhalten habe.

Anzurechnen ist immer die volle Gebühr

Dies ist jedoch unzutreffend und widerspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 15a Abs. 1 RVG, wonach jede Gebühr selbstständig ist und der Anwalt insgesamt nicht mehr als das um die Anrechnung verminderte Gesamtaufkommen verlangen kann. Dies hat im Übrigen der BGH auch bereits entschieden (AGS 2010, 621 = MDR 2011, 137 = ZfBR 2011, 139 = BRAK-Mitt 2011, 37 = Rpfleger 2011, 180 = JurBüro 2011, 80 = NJW 2011, 1368 = FamRZ 2011, 105 = RVGprof. 2011, 116).

 

Beispiel

Der Anwalt ist zunächst in einer Baumängelsache außergerichtlich tätig (Gegenstandswert: 30.000,00 EUR). Die Sache ist sehr umfangreich, sodass eine 2,0-Gebühr angemessen sei. Anschließend führt der Anwalt das selbstständige Beweisverfahren durch. Es findet ein Sachverständigentermin statt, an dem er teilnimmt. Hiernach kommt es zum Hauptsacheverfahren, in dem nach mündlicher Verhandlung ein Urteil ergeht.

Die 2,0-Geschäftsgebühr ist auf die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens mit dem Höchstsatz von 0,75 anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 4 VV), da das selbstständige Beweisverfahren das erste nachfolgende gerichtliche Verfahren nach Teil 3 VV ist (OLG Stuttgart AGS 2008, 383).

Im Hauptsacheverfahren ist dann nach Vorbem. 3 Abs. 5 VV die volle – und nicht nur die um die Anrechnung verminderte – Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtsstreits anzurechnen (so im Ergebnis, wenn auch mit anderer Anrechnungsreihenfolge: OLG Stuttgart AGS 2008, 384 = JurBüro 2008, 526 = OLGR 2008, 893 = Justiz 2009, 9 = BauR 2008, 1500 = NJW-Spezial 2008, 603 = AnwBl 2008, 719 = RVGreport 2009, 100; OLG München AGS 2009, 438 = JurBüro 2009, 475 = NJW-Spezial 2009, 588).

I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 30.000,00 EUR)

 
1. 2,0-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   1.516,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.536,00 EUR   
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   291,84 EUR
Gesamt 1.827,84 EUR

II. Selbstständiges Beweisverfahren (Wert: 30.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   985,40 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,75 aus 30.000,00 EUR    -568,50 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV    909,60 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 1.346,50 EUR   
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV    255,84 EUR
Gesamt  1.602,34 EUR

III. Rechtsstreit (Wert: 30.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV    985,40 EUR
2. gem. Vorbem. 3 Abs. 5 VV anzurechnen, 1,3 aus 30.000,00 EUR    -985,40 EUR
3. 1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV    909,60 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV    20,00 EUR
  Zwischensumme 929,60 EUR   
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV    176,62 EUR
Gesamt  1.106,22 EUR
 

Beispiel

Der Anwalt macht für seinen Mandanten außergerichtlich eine Forderung in Höhe von 10.000,00 EUR geltend. Hiernach wird ein Mahnbescheid erwirkt, gegen den der Antragsgegner Widerspruch einlegt, sodass das streitige Verfahren folgt.

Außergerichtlich war eine 1,3-Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) aus 10.000,00 EUR angefallen.

Im Mahnverfahren ist eine 1,0-Verfahrensgebühr (Nr. 3305 VV) entstanden, auf die die Geschäftsgebühr hälftig anzurechen ist.

Im streitigen Verfahren ist eine 1,3-Verfahrengebühr (Nr. 3100 VV) angefallen, auf die wiederum die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens anzurechnen ist (Anm. zu Nr. 3305 VV), und zwar in voller Höhe und nicht nur in Höhe des verbleibenden Betrags nach Anrechnung.

I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 10.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV   631,80 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 651,80 EUR  
3. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   123,84 EUR
Gesamt 775,64 EUR

II. Mahnverfahren (Wert: 10.000,00 EUR)

 
1. 1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV   486,00 EUR
2. anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV, 0,65 aus 10.000,00 EUR   -315,90 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 190,10 EUR  
4. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   36,12 EUR
Gesamt 226,22 EUR

III. Rechtsstreit (Wert: 10.000,00 EUR)

 
1. 1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV   631,80 EUR
2. anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV, 1,0 aus 10.000,00 EUR   -486,00 EUR
3. Terminsgebühr, Nr. 3104 VV   583,20 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 749,00 EUR  
5. Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   142,31 EUR
Gesamt 891,31 EUR

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