Anders verhält es sich jedoch, wenn mit der Rücknahme der Anklage die Einstellung des Verfahrens einhergeht. In diesem Fall gilt unmittelbar Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV.

 
Hinweis

Eine Einstellungsentscheidung nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO ist auch nach Rücknahme der Anklage ein Anwendungsfall der Nr. 4141 Anm. 1 S. 1 Nr. 1 VV.

AG Gießen, Beschl. v. 29.6.2016 – 507 Ds 604 Js 35439/13, AGS 2016, 394 = RVGreport 2016, 348 = RVGprof. 2017, 62

Ebenso zur vergleichbaren Rechtslage nach der BRAGO:

 
Hinweis

Nimmt die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück und stellt sie das Verfahren ein, so erhält der Rechtsanwalt, dessen Tätigkeit für die Einstellung mitursächlich war, die Gebühr des BRAGO § 84 Abs. 2 BRAGO [jetzt Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV].

LG Zweibrücken, Beschl. v. 10.12.2001 – Qs 100/01, AGS 2002, 90 = JurBüro 2002, 307

 
Hinweis

Erreicht der nach Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens zum Verteidiger bestellte Anwalt, dass die Staatsanwaltschaft die Anklage zurücknimmt und das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO einstellt, so steht dem Verteidiger für seine Tätigkeit eine Gebühr nach §§ 84 Abs. 2, 83 Abs. 1 BGB [jetzt Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV] zu.

LG Aachen, Beschl. v. 31.3.1998 – 66 Qs 13/98 AGS 1999, 59 = zfs 1999, 33

 
Hinweis

§ 84 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BRAGO [jetzt Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV] findet auch Anwendung, wenn die Einstellung des Verfahrens nach § 170 StPO durch die Staatsanwaltschaft nach Rücknahme der öffentlichen Klage erfolgt ist.

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.10.1998 – 4 Ws 310/98, AGS 1999, 120 = StraFo 1999, 68 = Rpfleger 1999, 149 = JurBüro 1999, 131 = NStZ-RR 1999, 192 = AnwBl 1999, 616 = StV 2000, 92 = zfs 1999, 320

Einstellung zählt zum vorbereitenden Verfahren

Allerdings zählt die Einstellung dann zum vorbereitenden Verfahren, das sich nach Rücknahme der Anklage wieder fortsetzt.

 
Hinweis

Nimmt die Staatsanwaltschaft ihre Anklage zurück, versetzt sie damit das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurück, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt, der vom Beschuldigten erst nach Anklageerhebung beauftragt worden ist, die Verfahrensgebühr Nr. 4104 VV verdient.

AG Gießen, Beschl. v. 29.6.2016 – 507 Ds 604 Js 35439/13, AGS 2016, 394 = RVGreport 2016, 348 = RVGprof. 2017, 62

 
Hinweis

1. Mit der Rücknahme des Antrags auf Erlass des Strafbefehls gem. § 411 Abs. 3 S. 1 StPO wird das Verfahren in den Stand des Ermittlungsverfahrens zurückversetzt, mit der Folge, dass ein Strafbefehl seine Wirkung verliert. Einem Verteidiger ist daher die Vorverfahrensgebühr zuzusprechen, wenn er im Rahmen des – sich an die Rücknahme der Klage anschließenden – Ermittlungsverfahrens tätig wurde und sich die Gebühr nicht bereits aus der vorausgegangenen Tätigkeit in dieser Sache im Ermittlungsverfahren verdient hatte (Anschluss AG Gießen, Beschl. v. 29.6.2016 – 507 Ds 604 Js 35439/13, AGS 2016, 394).

2. Der Umstand, dass zu einem früheren Zeitpunkt eine – später zurückgenommene – Anklage erhoben worden war, vermag die Entstehung einer Vorverfahrensgebühr nicht zu verhindern, weil die zurückgenommene Anklage bzw. der zurückgenommene Strafbefehlsantrag keine Rechtswirkungen mehr entfaltet.

LG Berlin, Beschl. v. 28.12.2016 – 536 Qs 22/16, AGS 2017, 80 = RVGreport 2017, 106 = NJW-Spezial 2017, 124 = RVGprof. 2017, 142

Vorbefassung ist unerheblich

Die Verfahrensgebühr der Nr. 4104 VV entsteht auch dann, wenn der Verteidiger zuvor bereits im Ermittlungsverfahren nicht tätig war. Lediglich die Abrechnung ist anders vorzunehmen.

 

Beispiel 1: Mit Vorbefassung

Die Staatsanwaltschaft nimmt die Anklage vor dem AG nach Eröffnung des Verfahrens aufgrund einer Einlassung des Verteidigers zurück und stellt das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Der Verteidiger war bereits im Ermittlungsverfahren tätig.

Im gerichtlichen Verfahren entsteht keine Zusätzliche Gebühr, weil die Sache mit Rücknahme der Anklage noch nicht erledigt ist und jederzeit eine neue Anklage erhoben werden kann. Mit der Rücknahme der Anklage ist die Sache wieder in das vorbereitende Verfahren zurückversetzt worden, sodass dort jetzt infolge der Einstellung die Zusätzliche Gebühr der Anm. Abs. 1 S. 1 Nr. 1 zu Nr. 4141 VV anfällt. Da der Verteidiger dort bereits tätig war, kann die Verfahrensgebühr nicht erneut entstehen (§ 15 Abs. 2 RVG). Sie kann jetzt allenfalls aufgrund des höheren Umfangs jedoch überdurchschnittlich anzusetzen sein.

Geht man von den Mittelgebühren aus, dann ist wie folgt zu rechnen:

 
I. Vorbereitendes Verfahren  
1. Grundgebühr, Nr. 4100 VV   200,00 EUR
2. Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV   165,00 EUR
3. Zusätzliche Gebühr, Nrn. 4141, 4106 VV   165,00 EUR
4. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 550,00 EUR
5. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   104,50 EUR
Gesamt   654,50 EUR
 
II. Erstinstanzliches gerichtliches Verfahren  
1. Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV   165,00 EUR
2. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV   20,00 EUR
  Zwischensumme 185,00 EUR
3. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV   35,15 EUR
Gesamt   220,15 EUR

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