Leitsatz (amtlich)

1. Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann die Entscheidung, ob Individualansprüche eines ihrer Mitglieder geltend gemacht werden, jedenfalls dann nicht mehr gegen seinen Willen an sich ziehen, wenn der betroffene Wohnungseigentümer seine Individualansprüche schon rechtshängig gemacht hat.

2.Macht ein Mitglied einer Wohnungseigentümergemeinschaft seine Individualansprüche rechtshängig, sind die übrigen Wohnungseigentümer aus Treuepflicht gehalten, den rechtskräftigen Ausgang des Verfahrens abzuwarten.

3.Ein gleichwohl gefasster Beschluss „Okkupationsbeschluss”) ist formell und materiell rechtswidrig, aber nicht nichtig.

4.Das Zustimmungserfordernis aus § 22 Abs. 1 WEG kann nicht durch einen mit der Mehrheit der Stimmen gefassten Okkupationsbeschluss unterlaufen werden.

 

Tenor

1. Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom … zu Tagesordnungspunkt 1 (Begründung einer Beschlusskompetenz für den Antrag der Familie …) wird für ungültig erklärt.

2. Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom … zu Tagesordnungspunkt 2 (Antrag der Familie … wird für ungültig erklärt.

3. Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gültigkeit zweier in einer Wohnungseigentümerversammlung gefassten Beschlüsse.

Der Kläger ist zusammen mit den übrigen Wohnungseigentümern Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft … in … und Eigentümer der Wohnung …. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist eine Meinungsverschiedenheit betreffend mehrere Sichtschutzelemente, die die Wohnungseigentümer … zwischen Juli und August 2011 in einen Holzzaun integriert haben, der im Garten montiert ist. Der Garten steht im Gemeinschaftseigentum. Den Wohnungseigentümern … steht an der betreffenden Gartenfläche ein Sondernutzungsrecht zu. Diese Meinungsverschiedenheit hat vor dem Amtsgericht Reutlingen bereits zu zwei Verfahren geführt. Während der Kläger im Ursprungsverfahren 9 C 513/12 WEG, in erster Instanz am 23.08.2012 durch klagestattgebendes Urteil abgeschlossen, die beklagten Wohnungseigentümer … auf Entfernung der Sichtschutzelemente in Anspruch genommen hatte, hat er sich in dem Verfahren 9 C 1104/12 WEG, in erster Instanz am 28.12.2012 durch klagestattgebendes Urteil abgeschlossen, gegen mehrere Beschlüsse gewehrt, mit denen die Mehrheit der Wohnungseigentümer die Beibehaltung der installierten Sichtschutzelemente beschlossen hatte. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nunmehr der Versuch der Mehrheit der Wohnungseigentümer, den gegenwärtigen Zustand mittels zweier Beschlüsse zu legalisieren. In der Eigentümerversammlung vom 17.10.2012 hat die Wohnungseigentümerversammlung unter Tagesordnungspunkt 1 mit 27 Ja-Stimmen gegen eine Nein-Stimme – die des Klägers – beschlossen:

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft … beschließt, die Entscheidung darüber, ob die in südwestlicher Ausrichtung

des Grundstücks … in … in dem das Grundstück

umgebenden Holzzaun eingebrachten beiden Sichtschutzelemente

aus Weidengeflecht sowie der aus sechs Einzelelementen bestehende

Sichtschutz aus Weidengeflecht in dem zur Wohnung Nr. … gehörenden

Wohngarten des Grundstücks … in … verbleiben

können oder zurückgebaut werden müssen, an sich zu ziehen.”

Unter Tagesordnungspunkt 2 beschloss die Wohnungseigentümerversammlung mit 27 Ja-Stimmen gegen eine Nein-Stimme – die des Klägers –:

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft … beschließt, dass die in südwestlicher Ausrich tung des Grundstücks

… in dem das Grundstück umgebenden Holzzaun

eingebrachten beiden Sichtschutzelemente aus Weidengeflecht sowie

der aus sechs Einzelelementen bestehende Sichtschutz aus Weidengeflecht

in dem zur Wohnung Nr. … gehörenden Wohngarten des Grundstücks

… verbleiben können und nicht zurückgebaut werden

müssen.”

Gegen diese Beschlüsse hat der Kläger am 19.11.2012, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, Anfechtungsklage erhoben und diese sogleich begründet.

Der Kläger ist der Auffassung, dass sein Individualanspruch auf Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes von anderen Wohnungseigentümern gegen seinen Willen nicht entzogen werden könne. Das gelte erst recht, wenn seinem Individualanspruch in erster Instanz schon mehrfach stattgegeben wurde und die beklagten Wohnungseigentümer, statt auf den Ausgang des Instanzenzugs abzuwarten, vollendete Tatsachen schaffen wollten. Es handele sich um eine ihn beeinträchtigende bauliche Veränderung, für die seine Zustimmung nach §§ 22 Abs. 1, 14 Nr. 1 WEG notwendig gewesen wäre. Da er eine solche Zustimmung nicht erteilt habe, habe er die Beseitigung der baulichen Veränderung zurecht verlangen können.

Der Kläger beantragt,

wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Auffassung, dass die Klage schon deshalb unbegründet sei, da die Anfechtungsfrist nicht eingehalten worden sei. Die zu den Tagesordnungspunkten 1 und 2 gefassten ...

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