Orientierungssatz

Es verstößt gegen Treu und Glauben, wenn die Eigentümerversammlung beschließt, dass ein 87-jähriger Miteigentümer zum Rückbau eines Treppenliftes im gemeinschaftlichen Treppenhaus verpflichtet wird, dessen Einbau gestattet worden war, um der mittlerweile verstorbenen Ehefrau dieses Miteigentümers den notwendigen barrierefreien Zugang zur Eigentumswohnung zu ermöglichen.

 

Tenor

Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 29.04.2019 unter TOP 5 betreffend den Rückbau des Treppenlifts im Haus A in B wird für ungültig erklärt.

Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Zwangsvollstreckung der Kläger gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leisten.

 

Tatbestand

Die Kläger verfolgen die Anfechtung eines Beschlusses der Eigentümerversammlung betreffend den Rückbau eines von der Klagepartei installierten Treppenlifts im gemeinschaftlichen Treppenhaus.

Die Parteien sind die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft C in B. Im Jahr 2011 gestattete die Gemeinschaft gegen Stellung einer Sicherheit für die Rückbaukosten dem heute 87 Jahre alten Kläger zu 1. und seiner vor nunmehr sechs Jahren verstorbenen Ehefrau, die damals ebenfalls Miteigentümerin war, den Einbau eines Treppenlifts zu der im Obergeschoss des Gebäudes A liegenden Wohnung der Klagepartei. Die Klägerin zu 2., Tochter des Klägers zu 1., ist im Wege der Erbfolge Miteigentümerin geworden. Die damalige Gestattung durch Beschluss erfolgt im Hinblick auf die Körperbehinderung der Ehefrau des Klägers zu 1., die ohne den Treppenlift die von ihr bewohnte Wohnung nicht mehr hätte verlassen und wieder erreichen können. Seit dem Tod der Ehefrau ist der Treppenlift ungenutzt geblieben, der Kläger zu 1. benötigt derzeit keinen barrierefreien Zugang zur Wohnung der Kläger. Die Führungsschiene des Lifts folgt dem innenliegenden Treppengeländer der Treppe. Der Sitz parkt an der letzten nach oben führenden Treppe, die zu einem Dachboden führt, der zum Gemeinschaftseigentum zählt. Der Dachboden ist mit einer Waschmaschine bestückt und dient im Übrigen dem Wäschetrocknen. Derzeit wird der Dachboden dementsprechend von zwei im Haus wohnenden Parteien genutzt. Wegen der Situation der Parkposition des Sitzes wird auf das Lichtbild gemäß Anlage zum Protokoll vom 24.10.2019 Bezug genommen. Die Hausverwaltung lud die Miteigentümer mit Schreiben vom 03.04.2019 nebst Tagesordnung zur Versammlung am 29.04.2019. Wegen des Inhaltes des Schreibens und der Tagesordnung wird auf BI. 7 d.A. Bezug genommen. Mit weiterem Schreiben vom 11.04.2019, dem Kläger zu 1. durch Briefkasteneinwurf mittels einer Mitarbeiterin der Hausverwaltung am selben Tag zugegangen, übermittelte die Hausverwaltung einen Antrag dreier anderer Miteigentümer vom 05.04.2019 (auf BI. 43 d.A. wird Bezug genommen) betreffend den Rückbau des Treppenlifts. Auf der Versammlung beschlossen die Miteigentümer unter dem TOP 5 „Verschiedenes”, der Kläger zu 1. möge den Treppenlift ausbauen. Hiergegen richtet sich die Anfechtungsklage.

Die Kläger rügen vorab, dass die Klägerin zu 2. nicht zu der Versammlung eingeladen worden sei. Ferner handele es sich bei der Materie, die zu dem angegriffenen Beschluss geführt habe, um eine solche, die wegen ihrer Tragweite nicht ohne vorherige Bekanntgabe in der Einladung und dem Begriff „Verschiedenes” hätte behandelt werden dürfen. Die Klagepartei habe keine ausreichende Gelegenheit zur Vorbereitung gehabt. Schließlich sei es unbillig, von der Klagepartei im Hinblick auf die Interessenlage des Klägers zu 1. – etwa im Hinblick auf sein Lebensalter – unter Abwägung der Interessen der übrigen Miteigentümer den Rückbau des Treppenlifts zu verlangen.

Die Kläger beantragen,

wie erkannt.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie sind der Ansicht, Einberufungsmängel lägen nicht vor, weil der Kläger zu 1. von der Klägerin zu 2. bevollmächtigt worden sei und durch die Übersendung des Schreibens vom 11.04.2019 die Beschlussmaterie noch rechtzeitig vor der Versammlung bekannt gegeben worden sei. Im Übrigen stehe den weiteren Miteigentümern ein Anspruch auf Rückbau des Treppenliftes zu, da zu Gunsten der Klagepartei kein grundrechtlich geschütztes Interesse auf einen barrierefreien Zugang zur Wohnung entsprechend § 554a BGB mehr bestehe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Erklärung der Parteien im Termin vom 24.10.2019 Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht eingereichte und mit einer Begründung versehene Klage hat Erfolg.

Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft unterliegen der Anfechtung, wenn sie nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen. Dies ist bei dem hier angegriffenen Beschluss der Fall, mit dem die Klagepartei zum Rückbau des vom Kläger zu 1. und seiner verstorbenen Ehefrau erricht...

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