Leitsatz (amtlich)

1. Versagungsgründe, die ein Verschulden des Schuldners voraussetzen, liegen nicht vor, wenn der Täter bei Begehung der Tat schuldunfähig war. Die Voraussetzungen der Schuldunfähigkeit und die Verteilung der materiellen Beweislast (Feststellungslast) bestimmen sich nach § 827 BGB.

2. § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfordert ein finales Handeln nur hinsichtlich der bloßen Erklärung des Schuldners. Sie muss als solche, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt oder ihrer Vollständigkeit, zweckgerichtet und im Bewusstsein ihrer Zweckbestimmung abgegeben worden sein.

3. Angaben in Steuererklärungen dienen immer dem Zweck, höhere als die wirklich geschuldeten Steuerzahlungen zu vermeiden.

4. Die rechtliche Wirkung einer Selbstanzeige nach § 371 AO beschränkt sich auf die strafrechtlichen Folgen einer Steuerhinterziehung nach § 370 AO. Eine entsprechende Anwendung auf die Rechtsfolgen, die mit der Versagung der Restschuldbefreiung verbunden sind (§ 201 InsO), ist nicht gerechtfertigt.

 

Normenkette

InsO § 290 Abs. 1 Nr. 2, § 201; BGB § 827; AO §§ 150, 370-371

 

Tenor

1. Dem Schuldner wird die Restschuldbefreiung versagt.

2. Die Kosten des Verfahrens über den Antrag auf Restschuldbefreiung trägt der Schuldner.

3. Gegenstandswert (§ 28 Abs. 3, § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG): 36 574,50 EUR.

 

Tatbestand

I.

1. Der 1956 geborene Schuldner praktizierte von 1980 bis 1986 als Steuerbevollmächtigter und war sodann als Steuerberater bis 1994 Mitgesellschafter und Geschäftsführer der K. & L. GmbH Steuerberatungsgesellschaft. Anschließend übte er den Beruf des Steuerberaters wieder freiberuflich aus, und zwar bis 2004 hauptsächlich als freier Mitarbeiter des Wirtschaftprüfers L. Zur Einkommenssteuer wurde der Schuldner von dem für seinen Wohnsitz zuständigen Finanzamt A., zur Umsatzsteuer am Ort seiner beruflichen Niederlassung vom Finanzamt B. veranlagt.

Infolge gescheiterter Immobiliengeschäfte bedrängten den Schuldner seit 1993 mehrere Gläubiger, u.a. die G-Bank, der er aus einer Bürgschaft über 180 000 DM haftete. Im Jahr 1994 setzte die Finanzverwaltung gegen den Schuldner eine Einkommensteuernachzahlung in Höhe von 250 000 DM fest und betrieb gegen den Schuldner die Vollstreckung. Zu deren Abwendung zahlte der Wirtschaftsprüfer L. in den folgenden Jahren erhebliche Teile der dem Schuldner zustehenden Vergütung unmittelbar an dessen Gläubiger.

Diese Direktzahlungen nahm der Schuldner zumindest für die Jahre 1998 bis 2002 weder als Einkünfte in seine einkommenssteuerlichen Einnahmen-Überschuss-Rechnungen noch als Umsätze in seine schriftlichen Umsatz-steuererklärungen auf. Nach den eigenen Angaben des Schuldners in einer Selbstanzeige an das Finanzamt B. vom 13. 7. 2005 hatte er folgende Beträge nicht als Einnahmen deklariert:

für 1998: 61 000 EUR inkl. Umsatzsteuer,

für 1999: 40 500 EUR inkl. Umsatzsteuer,

für 2000: 19 500 EUR inkl. Umsatzsteuer,

für 2001: 40 750 EUR inkl. Umsatzsteuer,

für 2002: 48 750 EUR inkl. Umsatzsteuer.

Nach dem Betriebsprüfungsbericht der Finanzverwaltung vom 19. 9. 2005 sollen es teilweise höhere Beträge gewesen sein.

Die unvollständigen Umsatzsteuererklärungen wurden vom Schuldner für das Jahr 2001 am 30. 6. 2003 und für das Jahr 2002 am 21. 7. 2004 beim Finanzamt B. eingereicht.

Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Duisburg vom 29. 11. 2007, rechtskräftig seit dem 26. 3. 2008, ist der Schuldner u.a. wegen der Abgabe der unrichtigen Umsatzsteuererklärungen für 2001 und 2002 wegen Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden; die Einzelstrafen für die beiden Taten wurden auf jeweils einen Monat festgesetzt.

2. Am 24. 3. 2006 beantragte das Land Nordrhein-Westfalen, vertreten durch das Finanzamt B, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Im August 2006 stellte auch der Schuldner einen Eröffnungs-antrag und beantragte zugleich Restschuldbefreiung. Das Insolvenzverfahren wurde aufgrund beider Anträge am 23. 11. 2006 eröffnet. Die zur Tabelle festgestellten Forderungen des Landes Nordrhein-Westfalen betragen insgesamt 365 745,06 EUR.

Im Schlusstermin vom 24. 10. 2007 hat das Land Nordrhein-Westfalen beantragt, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil er durch die Umsatzsteuererklärungen vom 30. 6. 2003 und vom 21. 7. 2004 vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht habe, um Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden (§ 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO).

Der Schuldner ist dem entgegengetreten. Er behauptet im wesentlichen, er habe in den Umsatzsteuererklärungen vom 30. 6. 2003 und vom 21. 7. 2004 sämtliche auf seinem Konto verbuchten Einnahmen angegeben. Die Direktzahlungen des Wirtschaftsprüfers L. an seine Gläubiger seien ihm damals nicht bekannt gewesen.L. habe ihn über diese Zahlungen erst im Jahre 2005 anlässlich einer steuerlichen Betriebsprüfung informiert. Er, der Schuldner, habe sich seit 1989 inf...

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