Leitsatz (amtlich)

Durch eine Taschenpfändung beim Schuldner in einem Sitzungssaal eines Amtsgerichte wird nicht in das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art 13 GG) eingegriffen.

 

Tenor

Der Antrag vom 09.01.2012, eingegangen am 10.12.2011, die Durchsuchung des Schuldners zu bewilligen, wird zurückgewiesen.

 

Gründe

Die Gläubigerin vollstreckt aufgrund eines Versäumnisurteils gegen den Schuldner, der derzeit ohne zustellungsfähige Anschrift ist.

Im Rahmen einer Güterverhandlung wurde das persönliche des Schuldners als Geschäftsführer einer beklagten GmbH für Montag 16.01.2012, Sitzungssaal 005, Amtsgericht Augsburg, Am alten Einlaß 1, angeordnet.

Die Gläubigerin hat mit Schreiben vom 09.01.2012 in Absprache mit dem zuständigen Gerichtsvollzieher den Antrag gestellt, die Durchsuchung des Schuldners zu bewilligen.

Der Antrag auf Erlass eines Beschlusses, mit dem die Durchsuchung des Schuldners bewilligt werden soll, ist zurückzuweisen.

(I)

Soweit ein richterlicher Beschluss zur Durchsuchung des Schuldners beantragt ist, gibt es hierfür keine Rechtsgrundlage zum Erlass eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses. Insoweit hat der Gerichtsvollzieher bei einer Taschenpfändung nach §§ 758 Absatz 1 und 2, 759 ZPO, §§ 107 Nr. 9, 108, 108 a GVGA vorzugehen. In diesem Zusammenhang kann er auch die Kleider des Schuldners durchsuchen, weil sie als Behältnisse im Sinne von § 758 Absatz 2 ZPO anzusehen sind (Zöller 28. Auflage § 808 ZPO RdNr. 5 )

(II)

Nur soweit es um die Durchsuchung einer Wohnung geht bedarf es wegen des Richtervorbehalts für eine Wohnungsdurchsuchung nach Art 13 Absatz 2 GG eines richterlichen Beschlusses (siehe § 107 Nr. 9 Satz 2 GVGA)

Hier bedarf es aber keines Durchsuchungsbeschlusses nach § 758 a Absatz 1 ZPO, weil bereits der Anwendungsbereich von § 758 a Absatz 1 ZPO nicht eröffnet ist. So soll gerade keine Wohnung des Schuldners durchsucht werden soll.

Bei der Wohnungsbestimmung ist zwar die weite Auslegung des Begriffs Wohnung des Bundesverfassungsgerichtes maßgebend. Danach ist der Begriff der Wohnung i.S.d. Art. 13 GG (vgl. BVerfGE 32, 54, 69 ff.) nicht im engen Sinne der Umgangssprache zu verstehen, sondern weit auszulegen. Er umfasst zur Gewährleistung einer räumlichen Sphäre, in der sich das Privatleben ungestört entfalten kann, alle Räume, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine Abschottung entzogen und zur Stätte privaten Wirkens gemacht sind. Maßgeblich ist dabei die nach außen erkennbare Zweckbestimmung des Nutzungsberechtigten. Der Schutzbereich des Art. 13 GG erfasst danach außer Wohnräumen im engeren Sinne etwa Gartenhäuser, Hotelzimmer, Wohnwagen, nicht allgemein zugängliche Geschäfts- und Büroräume, Personalaufenthaltsräume, Arbeitshallen, Werkstätten oder ein nicht allgemein zugängliches Vereinsbüro (siehe auch § 107 Nr. 1 Absatz 2 GVGA). Demgegenüber werden z.B. Unterkunftsräume eines Soldaten oder Polizeibeamten, Personenkraftwagen oder Hafträume in einer Justizvollzugsanstalt (vgl. BVerfG NJW 1996, 2643) nicht als Wohnung im Sinne des Art. 13 GG angesehen.

Vorliegend aber handelt es sich um einen Sitzungssaal des Amtsgerichtes Augsburg, also um keine Räumlichkeit, welche dem Schuldner eine Privatsphäre zukommen lässt. Der Schuldner wäre auch nicht berechtigt, diesen Raum zur Stätte seines Lebens und Wirkens zu machen, welche der allgemeinen Zugänglichkeit entzogen ist.

Soweit ein Antrag möglicherweise gestellt worden ist, weil von der Wohnung eines Dritten ausgegangen wird, ist auf Folgendes hinzuweisen:

(1)

§ 758 a Absatz 1 ZPO bietet keine Rechtsgrundlage für die Durchsuchung der Wohnung Dritter, in denen eine Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner durchgeführt werden soll (LG Aurich NJW-RR 1991, 192; OLG Oldenburg DGVZ 1990, 137, AG Wiesloch DGVZ 2002, 61; vgl. auch BGH NJW 2009, 3438 zum Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage nach Art 13 Absatz 2 GG zum Betreten von Geschäftsräumen eines Dritten durch den vorläufigen Insolvenzverwalter). Daher kann das Vollstreckungsgericht keinen Durchsuchungsbeschluss nach § 758 a Absatz 1 ZPO gegen Dritte erlassen. § 758 a Absatz 3 enthält zwar eine Duldungspflicht für einen Dritten als Mitbewohner, stellt aber keine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses zu Lasten Dritter dar.

(2)

Gleichwohl hat der Gerichtsvollzieher beim Betreten einer Wohnung eines Dritten zu prüfen, ob eine richterliche Durchsuchungsanordnung wegen Art 13 Absatz 2 GG erforderlich, wie sich auch §§ 108 Nr. 1 und 5, 107 Nr. 1- 3 GVGA entnehmen lässt (siehe auch OLG Hamburg NJW 1984, 2898).

(3)

Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach h.M grundsätzlich eine sog. - wie hier beabsichtigte - Taschenpfändung beim Schuldner, der sich in der Wohnung eines Dritten aufhält, ohne eine richterliche Durchsuchungsanordnung gegen den Dritten zulässig ist. So darf der Gerichtsvollzieher dem Schuldner überallhin folgen, wo dieser Gewahrsam ausübt (Münchner Kommentar 3. Auflage § 758 a ZPOO RdNr. 9 m.w.N.; a.A. wohl Zöller 28. Auflage § 758 a ZPO RdNr. 5). Au...

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