Das Wichtigste in Kürze:

1. Der Verteidiger, der für den Beschuldigten dessen AER ausübt, ist zur Weitergabe der durch seine AE erlangten Kenntnisse an den Beschuldigten berechtigt und aus dem Mandatsverhältnis heraus auch verpflichtet.
2. Die Frage, wann die Unterrichtung des Beschuldigten durch seinen Verteidiger unzulässig ist, ist in Rspr. und Lit. nicht eindeutig geklärt.
3. Da die Überlassung von Auszügen und Abschriften aus den Akten von StA und Gerichten (immer noch) nicht gern gesehen wird, sollte der Verteidiger seinen Mandanten davor warnen, die ihm überlassenen Unterlagen Dritten zu zeigen.
 

Rdn 531

 

Literaturhinweise:

Beulke/Witzigmann, Neue Strafbarkeitsrisiken für Verteidiger? Zugleich eine Anmerkung zum, Beschluss des OLG Frankfurt vom 2.11.2012 – 2 Ws 114/12 49, in: Festschrift für Wolf Schiller, 2014, S. 49

Bode, Ist der Verteidiger berechtigt nach Eröffnung des Hauptverfahrens dem Angeklagten einen Aktenauszug zu überlassen?, MDR 1981, 287

Burhoff/Stephan, Strafvereitelung durch Strafverteidiger, 2007

Donath/Mehle, Akteneinsichtsrecht und Unterrichtung des Mandanten durch den Verteidiger, NJW 2009, 1399

Groh, Zum Recht des Strafverteidigers auf Einsichtnahme in staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten, DRiZ 1985, 52

Krekeler, Probleme der Verteidigung in Wirtschaftsstrafsachen, wistra 1983, 43

ders., Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146

Meyer-Lohkamp/Schwerdtfeger, Strafrechtliche Risiken bei der Weitergabe von Akteninhalten mit kinderpornographischen Inhalten bei der Berufsausübung, StV 2014, 772

Rauwald, Verwendung der Strafakte zur Anspruchsverfolgung durch den Beschuldigten, NJW 2018, 3679

Taschke, Akteneinsicht und Geheimnisschutz im Strafverfahren, CR 1989, 299

Tondorf, Begeht der Strafverteidiger eine Strafvereitelung und verletzt er seine Standespflichten, wenn er den Mandanten benachrichtigt, nachdem er von einem geplanten Haft- oder Durchsuchungsbefehl erfahren hat?, StV 1983, 257

Ziemann, Akteneinsicht und Aktenverwertung im Kinderpornografieverfahren – ein neues Strafbarkeitsrisiko für effektive Verteidigung?, StV 2014, 299

s.a. die Hinw. bei → Akteneinsicht, Allgemeines, Teil A Rdn 226, und bei → Verteidiger, Allgemeines, Teil V Rdn 4803, m.w.N.

 

Rdn 532

1.a) Der (verteidigte) Beschuldigte kann grds. nicht selbst die Akten einsehen (→ Akteneinsicht, Berechtigter, Teil A Rdn 285 ff.), er muss aber zu einer sachgerechten Verteidigung wissen, worauf sich der gegen ihn erhobene Vorwurf stützt. Deshalb ist der Verteidiger, der für den Beschuldigten dessen AER ausübt, zur Weitergabe der durch seine AE erlangten Kenntnisse an den Beschuldigten berechtigt und aus dem Mandatsverhältnis heraus auch verpflichtet (BGHSt 29, 99, 102; OLG Frankfurt am Main NJW 1981, 882 [Ls.]; Meyer-Goßner/Schmitt, § 147 Rn 20 m.w.N.; s.a. Dahs, Rn 280 ff.; Bosbach, Rn 133 ff.; zur Verwendung der Strafakte zur Anspruchsverfolgung durch den Beschuldigten Rauwald NJW 2018, 3679). In dem Umfang, in dem der Verteidiger dem Beschuldigten aus dem Akteninhalt Mitteilungen machen bzw. Kopien überlassen darf (s. Teil A Rdn 534), ist er auch berechtigt, ihm Aktenabschriften und Auszüge sowie Ablichtungen, ggf. sogar der gesamten Akte, auszuhändigen (BGH, a.a.O.; so auch § 19 Abs. 2 S. 1 BORA; zur Frage, ob es zweckmäßig ist, dem Beschuldigten die gesamten Akten zu überlassen, einerseits bejahend Dahs, Rn 282, andererseits verneinend Bosbach, Rn 135).

 

☆ Die nachstehenden Ausführungen gelten auch für in elektronischer Form geführte Akten (→ Akteneinsicht , elektronische Akte , Teil A Rdn  394 ).Akteneinsicht, elektronische Akte, Teil A Rdn 394).

 

Rdn 533

 

b) Hinweise für den Verteidiger!

Auf folgende Punkte ist besonders hinzuweisen:

Der Verteidiger darf dem Mandanten die Originalakten niemals aushändigen (Umkehrschluss aus BGHSt 29, 99; Dahs, Rn 282; Bosbach, Rn 139; s.a. § 19 Abs. 1 S. 1 BORA und dazu Hartung/Scharmer, § 19 BORA Rn 28; zur Aushändigung einer Kopie der Videoaufzeichnung einer Vernehmung → Videovernehmung im Ermittlungsverfahren, Teil V Rdn 5166).
Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob er den Mandanten wenigstens in die Originalakten einsehen lassen darf, was insbesondere bei umfangreichen Strafsachen, in denen sich in den Akten z.B. zahlreiche Geschäftsunterlagen des Mandanten befinden, von Bedeutung sein kann. Grds. wird man auch diese Frage verneinen müssen, da die Ausübung des AER auch nach den Änderungen des § 147 durch das StVÄG 1999, durch das 2. OpferRRG oder durch das "Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs" v. 5.7.2017 nach dem eindeutigen Wortlaut des § 147 Abs. 1 grds. immer noch beim verteidigten Beschuldigten nur dem Verteidiger zusteht (einsehen (→ Akteneinsicht, Berechtigter, Teil A Rdn 285 ff.). Es ist jedoch nichts dagegen einzuwenden, wenn mit ausdrücklicher Zustimmung der StA der Beschuldigte unter ständiger Aufsicht seines Verteidigers oder eines seiner Mitarbeiter beim Verteidiger AE nimmt (OL...

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