Rz. 1

Fehlerhafte Produkte (und der Fehlgebrauch fehlerfreier Produkte) sind eine Unfallursache ersten Ranges. Die deliktische Haftung für Produktfehler, die sich primär auf § 823 Abs. 1 BGB stützt und die das Reichsgericht schon im Jahr 1915 anerkannt hatte,[1] ist von Rechtsprechung und Lehre vor allem seit den 1960er Jahren fortentwickelt und präzisiert worden, um der fortschreitenden Arbeitsteilung in der industriellen Massenproduktion und der Warenverteilung, aber auch den gestiegenen Sicherheitserwartungen an Produkte gerecht zu werden. Zentrale Fragen der Produkthaftung sind aber weiterhin nicht abschließend geklärt, etwa die Reaktionspflichten bei nachträglich bekanntwerdenden Produktrisiken (Warn- und Rückrufpflichten). Neue Fragestellungen wirft zudem der zunehmende Einsatz von Algorithmen und Software im Zuge der Digitalisierung auf.

 

Rz. 2

Das Produkthaftungsrecht hat präventive, unfallverhütende Wirkung. Diese beruht auf einer Vielzahl der Produktsicherheit dienenden Rechtsnormen, die sich an den Hersteller richten, zugleich aber Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB sein können. Vor allem aber wurden Warn- und Rückrufpflichten entwickelt, die auch den Hersteller treffen können, dem keinerlei Versäumnisse bei Konstruktion oder Fertigung des Produkts bzw. bei der Instruktion des Verwenders anzulasten sind: Auch ihn trifft eine Pflicht zur Produktbeobachtung, deren Erkenntnisse ihn zum Handeln verpflichten können.

 

Rz. 3

Produkthaftungsrecht ist nicht zuletzt Verbraucherschutzrecht. Als Verbraucherschutzrecht fand es in der EG-Richtlinie Produkthaftung v. 25.7.1985 eine gemeinschaftsrechtliche Normierung, die zum 1.1.1990 durch das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) in nationales Recht umgesetzt wurde.

 

Rz. 4

Die Bestimmung des anwendbaren Rechts für die außervertragliche Produkthaftung richtet sich nach der Rom II-Verordnung.[2] Gem. Art. 14 Rom II-VO können private Parteien nach Eintritt des Schadensereignisses – wenn alle Parteien einer kommerziellen Tätigkeit nachgehen auch vor dessen Eintritt – durch ausdrückliche Vereinbarung eine Rechtswahl treffen. Dabei kann bei rein inländischen oder innereuropäischen Sachverhalten jedoch nicht von zwingenden Bestimmungen des nationalen bzw. des Gemeinschaftsrechts abgewichen werden, Art. 14 Abs. 2 und 3 Rom II-VO. Mangels Rechtswahl gelten die Kollisionsnormen der Art. 4 und 5 Rom II-VO. Vor der Prüfung, ob eine Sonderanknüpfung nach Art. 5 Rom II-VO greift, ist jedoch zu klären, ob Art. 4 Abs. 2 Rom II-VO Anwendung findet.[3] Danach ist bei gemeinsamem gewöhnlichen Aufenthaltsort der Beteiligten im Zeitpunkt des Schadenseintritts das Recht dieses Staates anzuwenden, unabhängig von der Sonderanknüpfung nach Art. 5 Rom II-VO.

 

Rz. 5

Art. 5 Rom II-VO enthält eine Sonderanknüpfung für den Bereich der Produkthaftung. Angeknüpft wird grundsätzlich an den Ort des Inverkehrbringens des Produkts. Da Produkte regelmäßig in mehreren Staaten in Verkehr gebracht werden, wird an einen weiteren Ort angeknüpft, der mit einem Ort des Inverkehrbringens zusammenfallen muss. Das ist in erster Linie der gewöhnliche Aufenthalt der geschädigten Person (Abs. 1 S. 1 lit a), in zweiter Linie der Ort des Erwerbs des Produkts (Abs. 1 S. 1 lit b) und in dritter Linie der Ort des Schadenseintritts (Abs. 1 S. 1 lit c). Eine herstellerschützende Rückausnahme – gewöhnlicher Aufenthalt des Haftenden, also im Regelfall des Herstellers – gilt in dem Fall, dass dieser das Inverkehrbringen des Produkts in diesem Staat vernünftigerweise nicht voraussehen konnte, Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom-II VO. Nach Art. 5 Abs. 2 Rom-II VO findet bei Vorliegen einer offensichtlich engeren Verbindung der unerlaubten Handlung mit einem anderen Staat das Recht dieses anderen Staats Anwendung. Diese kann sich insbesondere aus einem vertraglichen Rechtsverhältnis der Parteien ergeben, das mit der unerlaubten Handlung in enger Verbindung steht (Akzessorietät des deliktischen Schuldverhältnisses zu einem Vertrag).

Wurde das Produkt in keinem der in Frage kommenden Staaten in Verkehr gebracht, so ist umstritten, welche Regeln Anwendung finden sollen.[4] Der in der Systematik der Art. 4 ff. Rom II-VO angelegte Rückfall auf den Erfolgsort gem. Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO ist im Fall des Art. 5 problematisch. Ist das Produkt in dem Staat, in dem der Schaden eingetreten ist, nicht in den Verkehr gebracht worden, so entspricht das am ehesten der Konstellation in Art. 5 Abs. 1 S. 2 Rom II-VO: Der Hersteller musste nicht von einer Inanspruchnahme nach dem Recht dieses Staates ausgehen.[5] Das führt zur Anwendung des Rechts des Staates, in dem der Hersteller seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

[1] RG v. 25.2.1915 – Rep. VI. 526/14, RGZ 87, 1 – Brunnensalz; bereits 1907 OLG Stuttgart, OLGE 18, 69, 71 – Holzsägemaschine.
[3] OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 24.8.2018 – 5 U 926/18, PharmR 2018, 541, 543; Palandt/Thorn, Art. 5 Rom II-VO, Rn 4.
[4] Zum Streitstand ausführlich BeckOGK/M. Müller, 1.7.201...

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