A. Einleitung

 

Rz. 1

In vielen Fällen möchte der Mandant schnell zu einem Vollstreckungstitel kommen, auch wenn dieser zunächst nur vorläufigen Bestand hat und das weitere Verfahren bis zur endgültigen Klärung der Ansprüche offen bleibt.

 

Rz. 2

Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Mandant mit Einwendungen des Gegners rechnet, die allein der Verfahrensverzögerung dienen, von einer schnellen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse des Gegners auszugehen ist oder aber bei Vermögensverschiebungen des Schuldners Anfechtungsfristen nach dem Anfechtungsgesetz (§§ 36a AnfG) gewahrt werden sollen.

 

Rz. 3

In diesen Fällen kann die Klage im Urkundenprozess helfen, wenn der Mandant die den Anspruch begründenden Tatsachen mittels Urkunden und in Ausnahmefällen auch durch die Parteivernehmung nachweisen kann und davon auszugehen ist, dass der Beklagte seine Einwendungen nicht in gleicher Weise nachweisen kann. Der Kläger kann von der für den Urkundenprozess charakteristischen Beschränkung der Beweismittel profitieren.

 

Rz. 4

Trotzdem zeigt die Praxis, dass der Urkundenprozess außerhalb von Wechseln und Schecks noch immer selten genutzt wird. Insbesondere bei Mietzins-, Darlehns-, Bürgschafts- oder sonstigen durch eine Urkunde belegten Zahlungsansprüchen bietet sich ein gegenüber der bisherigen Praxis erweiterter Einsatz an. Hierbei sollte man als Rechtsanwalt auch immer im Blick haben, dass auch schon das Mahnverfahren als Urkundenmahnverfahren geführt werden kann, § 703a ZPO.

 

Rz. 5

Nach dem BGH[1] kann sich ein Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten sogar dem Vorwurf der Pflichtverletzung mit der daraus resultierenden Konsequenz der Schadensersatzpflicht aussetzen, wenn er den möglichen Urkundenprozess nicht in seine Erwägungen einbezieht und wählt. Der Rechtsanwalt habe seinen Auftrag nämlich so zu erfüllen, dass die Belange des Auftraggebers in jeder Hinsicht gewahrt und Nachteile vermieden werden. Dies sei jedenfalls dann der Fall, wenn das Beschleunigungsinteresse des Mandanten die Gefahr der Schadensersatzpflicht bei Aufhebung des Vorbehaltsurteils im Nachverfahren überwiegt.

 

Rz. 6

Der Urkundenprozess bringt aber auch in der Prozessführung und in der Zwangsvollstreckung besondere Vorteile mit sich, die der Rechtsanwalt bei der Wahl seines Vorgehens bedenken sollte:

Die Klage im Urkundenprozess hat den Vorteil, dass eine Verzögerung des Rechtsstreites durch eine "Flucht in die Widerklage"[2] nicht möglich ist, da § 595 Abs. 1 ZPO Widerklagen im Urkundenprozess nicht erlaubt. Diese sind frühestens im Nachverfahren möglich.[3] Dies gilt auch dann, wenn der Widerklageanspruch allein mit Urkunden nachgewiesen werden kann.
Der Beklagte wird seinerseits in der Beweisführung auf Urkunden und die Parteivernehmung beschränkt und kann mit anderen Beweismitteln erst im Nachverfahren, d.h. nach der Schaffung eines Vollstreckungstitels gehört werden.
Das Urteil ist nach § 708 Nr. 4 ZPO ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Ergeht ein Versäumnisurteil oder Anerkenntnisvorbehaltsurteil, hat der Beklagte nicht einmal die Möglichkeit, die Zwangsvollstreckung nach § 711 ZPO abzuwenden, da die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit dann nach § 708 Nr. 1 bzw. Nr. 2 ZPO ergeht, die in § 711 ZPO nicht genannt sind.
 

Rz. 7

 

Hinweis

Allerdings begründet § 600 Abs. 2 i.V.m. § 302 Abs. 4 S. 3 ZPO auch eine besondere Schadensersatzpflicht, wenn der Urkundenprozess missbraucht wird, um eine Forderung zunächst titulieren und dann vollstrecken zu lassen, obwohl der Forderung für den Kläger erkennbar begründete Einwendungen entgegenstehen.

 

Rz. 8

Die Durchführung eines Einigungsversuches als landesrechtliche Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage im ordentlichen Erkenntnisverfahren entfällt nach § 15a Abs. 2 Nr. 4 EGZPO, wenn der Anspruch im Urkunden- oder Wechselprozess geltend gemacht wird.
Eine Teilklage ist möglich – wenn etwa allein die Auslegung einer Urkunde streitig ist –, ohne dass – wegen § 595 Abs. 1 ZPO – die Gefahr einer negativen Feststellungswiderklage droht. Wird die Teilklage im Urkundenprozess abgewiesen, ist der Rechtsstreit beendet, anderenfalls stellt die negative Feststellungswiderklage keine Gefahr mehr dar.
 

Rz. 9

Im nachfolgenden Abschnitt B.I. (siehe Rdn 10 ff.) werden die rechtlichen Grundlagen des Urkundenprozesses erläutert. In Abschnitt B.II. (siehe Rdn 213 ff.) werden diese Grundlagen um die Besonderheiten im Wechsel- und Scheckprozess ergänzt. Die notwendigen Musterformulare für den Urkunden- und Wechselprozess finden Sie dann in Abschnitt C (siehe Rdn 252 ff.).

[1] BGH NJW 1994, 3295 = BGHZ 126, 217 = JZ 1995, 467.
[2] Hierzu Bach, Prozessrecht aktiv 2002, 159.
[3] Str. so wie hier MüKo-ZPO/Braun, § 595 Rn 1; a.A. Stein/Jonas/Berger, § 595 Rn 1.

B. Rechtliche Grundlagen

 

Rz. 10

Die Regelungen über den Urkunden- und Wechselprozess finden sich in den §§ 592605a ZPO. Dabei betreffen die §§ 602 ff. ZPO die Besonderheiten des Wechsel- und Scheckprozesses. Ergänzend finden die allgemeinen Bestimmungen der ZPO Anwen...

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