Rz. 46

Nach § 18 Abs. 1 VersAusglG ist von einem Ausgleich grds. abzusehen, wenn die Differenz der beiderseitigen Ausgleichswerte (d.h. der Hälfte der Ehezeitanteile, § 1 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG) bei Anrechten gleicher Art gering ist. Damit sollen diejenigen Fälle sachgerecht entschieden werden, in denen beide Ehegatten in der Ehezeit annähernd gleichwertige Anrechte in gleichartigen Versorgungssystemen erworben haben, etwa weil sie durchgehend Berufe mit vergleichbarer Vergütung ausgeübt haben.

 

Rz. 47

 

Beispiel

M und seine Frau F sind beamtete Lehrer. Beide haben dieselbe Besoldungsgruppe und während der Ehe nahezu gleich hohe Versorgungsanwartschaften erworben. Diese unterscheiden sich nur i.H.v. 22,50 EUR mtl. (zugunsten von M). Ein Versorgungsausgleich findet in diesem Fall grds. nicht statt, weil der Grenzbetrag des § 18 Abs. 3 VersAusglG von derzeit (2016) 29,05 EUR nicht überschritten ist.

 

Rz. 48

 

Praxistipp

Das FamG muss in diesen Fällen (von Amts wegen) prüfen:

Bestehen auf beiden Seiten auszugleichende Anrechte gleicher Art?
Wie hoch sind die Ausgleichswerte dieser Anrechte?
Liegt die Differenz der Summe dieser Ausgleichswerte unter dem nach § 18 Abs. 3 maßgeblichen Grenzbetrag?
Ist gleichwohl ein Versorgungsausgleich aus Gründen des Einzelfalles durchzuführen?
 

Rz. 49

Entscheidend ist für § 18 Abs. 1 VersAusglG immer, welcher Gruppe von Anrechten ein bestimmtes Anrecht zugeordnet wird. In der Praxis gibt es daher erheblichen Streit darum, welche Anrechte solche "gleicher Art" sind. Die Gesetzesbegründung, dass das solche Anrechte seien, "die sich in Struktur und Wertentwicklung entsprechen"[16], ist eher ein Anhaltspunkt als eine klare Definition. Der Begriff entspricht dem in § 10 Abs. 2 VersAusglG verwendeten und sollte deswegen in beiden Vorschriften in gleicher Weise ausgelegt werden. Soweit deswegen schon aus strukturellen Gründen eine Verrechnung von Anrechten nicht vorgenommen werden kann (z.B. West- und Ostanrechte in der gesetzlichen Rentenversicherung, vgl. § 120f SGB VI), kann deswegen auch keine Gleichartigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 VersAusglG angenommen werden.[17]

 

Rz. 50

Als Faustregel kann formuliert werden, dass Rechte gleicher Art dann vorliegen, wenn eine Saldierung zum gleichen Ergebnis führen würde wie ein Hin-und Herausgleich.[18] Darauf, ob die Anrechte nach § 10 Abs. 2 VersAusglG tatsächlich verrechnet werden können oder nicht (weil sie z.B. bei verschiedenen Versorgungsträgern bestehen), kommt es dagegen nicht an.[19] Gleichartig sind deswegen Beamtenversorgungen, auch wenn sie bei verschiedenen Versorgungsträgern bestehen, Beamten- und Soldatenversorgungen sowie Rentenanrechte in den kirchlichen und öffentlichen Zusatzversorgungen.[20]

 

Rz. 51

Als Anhaltspunkt für die Gruppenzuordnung kann weiter festgestellt werden, dass jedenfalls dann keine Anrechte gleicher Art vorliegen, wenn sich das Leistungsspektrum der Anrechte unterscheidet. Gewährt ein Anrecht nur eine Altersversorgung, ein anderes aber zusätzlich Schutz bei Invalidität oder gewährt es auch eine Hinterbliebenenversorgung, dann liegen nicht vergleichbare Anrechte vor. Das Gleiche gilt bei unterschiedlichen Dynamisierungsweisen der Anrechte, bei unterschiedlichen Finanzierungsformen[21] und Berechnungsprinzipien. Gleichwohl ist die Bestimmung des Vergleichsgegenstandes nicht unproblematisch, weil es in vielen Fällen sehr schwer ist, die entsprechenden Gruppen von Versorgungen zu bilden. Darauf hat schon Hauß eindringlich hingewiesen.[22]

 

Rz. 52

Die Problematik verdeutlicht folgende beispielhafte Übersicht. Je mehr Differenzierungskriterien gebildet werden, desto mehr Kombinationen gibt es und desto eher wird die Verschiedenheit von Anrechten angenommen werden müssen:

 
Kriterien     Gleichartigkeit
Leistungsspektrum Altersversorgung Altersversorgung ja
Altersversorgung Altersversorgung und Hinterbliebenenversorgung nein
Altersversorgung Altersversorgung und Invaliditätsabsicherung nein
Altersversorgung und Invaliditätsabsicherung Altersversorgung und Hinterbliebenenversorgung nein
Altersversorgung Hinterbliebenenversorgung nein
Altersversorgung Invaliditätsabsicherung nein
Invaliditätsabsicherung Hinterbliebenenversorgung nein
Invaliditätsabsicherung Invaliditätsabsicherung nein
Finanzierung Umlageverfahren Umlageverfahren ja
Umlageverfahren Abschnittsdeckungsverfahren nein
Abschnittsdeckungsverfahren Abschnittsdeckungsverfahren ja
Dynamik statisch statisch ja
statisch dynamisch nein
dynamisch dynamisch ja
teildynamisch, ­Anwartschaftsphase teildynamisch, ­Anwartschaftsphase ja
teildynamisch, ­Anwartschaftsphase teildynamisch, ­Leistungsphase nein
teildynamisch, ­Anwartschaftsphase statisch nein
teildynamisch, ­Anwartschaftsphase dynamisch nein
teildynamisch, ­Leistungsphase teildynamisch, ­Leistungsphase ja
 

Rz. 53

Zu beachten ist, dass der korrespondierende Kapitalwert (§ 47 VersAusglG) regelmäßig ungeeignet ist, um zu überprüfen, ob Anrechte gleicher Art vorliegen oder nicht.[23] Unterschiedliche Anrechte können rein ...

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