Rz. 78

Die Testierunfähigkeit muss zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments vorliegen. Die Partei, die sich auf die Testierunfähigkeit beruft, muss auffällige Äußerungen und Verhaltensweisen des Erblassers benennen und somit Umstände vortragen, die auf eine Testierunfähigkeit hinweisen. Diese Umstände müssen sowohl vor als auch nach dem Zeitpunkt der fraglichen Testamentserrichtung liegen. Für den sogenannten Beweis des ersten Anscheins genügt es zunächst, Umstände für eine Testierunfähigkeit im fraglichen Zeitraum vorzutragen.[148] Derjenige, der sich auf die Testierfähigkeit beruft, muss den dem Beweis des ersten Anscheins zugrundeliegenden Erfahrungsgrundsatz somit erschüttern.

 

Rz. 79

Im Falle des Vorliegens struktureller Schädigungen des Gehirns können diese mittels bildgebender Verfahren (CT oder MRT) nachgewiesen werden. Der Anscheinsbeweis besagt, dass im Fall des Vorliegens eines psychopathologischen Symptoms, das vor dem strittigen Zeitpunkt der Testamentserrichtung und nach dieser anhand konkreter Anhaltspunkte nachweisbar ist, damit auch zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung vorlag.[149]

 

Rz. 80

Sollte ein nicht datiertes Testament vorliegen und feststehen, dass der Testator zu irgendeinem Zeitpunkt testierunfähig war, spricht der Beweis des ersten Anscheins auch für die Testierunfähigkeit im Zeitpunkt der Testamentserrichtung. Eine Ausnahme liegt hiervon vor, wenn sich der Zeitpunkt der Testamentserrichtung durch außerhalb der Urkunde liegende Umstände ermitteln lässt. Das Gericht muss sodann von der Testierunfähigkeit zu den vorgenannten Zeitpunkten überzeugt sein.[150]

 

Rz. 81

Teilweise wird in der Literatur vertreten, dass nach den Umständen des konkreten Falls für die Erschütterung des Beweises des ersten Anscheins ein "luzides Intervall" im Zeitpunkt der Testamentserrichtung ernsthaft in Betracht kommt.[151] Wie beschrieben ist das Phänomen des "luziden Intervalls" nicht unumstritten (vgl. Rdn § 8 Rdn 62 ff.), häufig ist dies nur ein scheinbares Auflodern intellektueller Fähigkeiten und somit nur ein "pseudolichter Moment". Ein "luzides Intervall" ist bei chronisch progedienten Krankheitsverläufen nicht mehr zu erwarten. In der Literatur wird zwar vertreten, dass auch dies erschüttert werden kann,[152] wobei nicht erkenntlich ist, was diesbezüglich im Einzelnen vorgebracht werden sollte.

 

Rz. 82

Der Beweis des ersten Anscheins ist nicht in dem Fall einer häufigeren, aber immer nur vorübergehenden auftretenden geistigen Beeinträchtigung, möglich.[153]

[148] BayObLGZ 1979, 256, 266.
[149] Wetterling, ErbR 2019, 283, 286, m.w.V.
[150] Staudinger/Baumann, § 2229 Rn 74, 76.
[151] MüKo/Hagena, § 2229 Rn 62.
[152] MüKo/Hagena, § 2229 Rn 62.
[153] MüKo/Hagena, § 2229 Rn 62.

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