Rz. 70

Wenn der Geschädigte die laut Gutachten erforderlichen Reparaturkosten gegenüber dem Schädiger zunächst fiktiv abrechnet, stellt sich die Frage, ob er sich mit dieser Wahl der Schadensabrechnung zugleich gebunden hat oder ob er nachträglich auch die tatsächlich entstandene Mehrwertsteuer gesondert einfordern kann. Der Geschädigte kann jedenfalls grundsätzlich nicht eine fiktive und konkrete Schadensabrechnung kombinieren.[72]

 

Rz. 71

Die Rechtsprechung lässt allerdings im Rahmen des dem Geschädigten zustehenden Wahlrechts entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 249 Abs. 2 S. 2 BGB die Geltendmachung der Mehrwertsteuer im Anschluss an eine fiktive Abrechnung i.d.R. zu, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. In einem zunächst gestellten Verlangen nach Schadensersatz im Wege einer fiktiven Abrechnung liegt jedenfalls regelmäßig kein Verzicht auf eine Nachforderung.[73] Eine Geltendmachung der später angefallenen Mehrwertsteuer ist demnach grundsätzlich möglich, wenn der Geschädigte sich dadurch für eine konkrete Schadensabrechnung entscheidet (die letztendlich den fiktiven Reparaturkostenanteil als Minus ohne MwSt. beinhaltet). Er ist grundsätzlich nicht an die zuerst erfolgte Abrechnung gebunden, die sich allein an den von einem Gutachter geschätzten Reparaturkosten orientiert.[74]

 

Rz. 72

Muster 8.19: Ersatz der angefallenen Mehrwertsteuer im Anschluss an den Ersatz fiktiver Reparaturkosten

 

Muster 8.19: Ersatz der angefallenen Mehrwertsteuer im Anschluss an den Ersatz fiktiver Reparaturkosten

_________________________ Versicherung AG

_________________________

_________________________

Schaden-Nr./VS-Nr./Az. _________________________

Schaden vom _________________________

Pkw _________________________, amtl. Kennzeichen _________________________

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit der Abrechnung des Fahrzeugschadens in vorbezeichneter Unfallangelegenheit vermag ich mich nicht einverstanden zu erklären. Entgegen der von Ihnen vertretenen Auffassung besitzt meine Mandantschaft einen Anspruch auf Ausgleich der tatsächlichen angefallenen Mehrwertsteuer.

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung kann der Geschädigte im Rahmen des ihm zustehenden Wahlrechtes die Mehrwertsteuer gem. § 249 Abs. 2 S. 2 BGB auch im Anschluss an eine fiktive Abrechnung geltend machen, wenn und soweit diese tatsächlich angefallen ist. In der (erstmaligen) Geltendmachung des entstandenen Schadens ist gerade kein Verzicht auf eine Nachforderung zu sehen (BGH, Urt. v. 20.4.2004 – VI ZR 109/03 = NJW 2004, 1943). Vielmehr steht es dem Geschädigten frei, nach einer ersten Abrechnung auf Basis des Gutachtens die höheren Kosten einer tatsächlich durchgeführten Reparatur des Kfz zu verlangen (BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05 = NJW 2007, 67; LG Saarbrücken, Urt. v. 7.6.2019 – 13 S 50/19 – juris). Die durch die Reparatur tatsächlich angefallene und von meinem Mandanten bezahlte Mehrwertsteuer ist Ihnen durch die Rechnung und Quittung der von meinem Mandanten beauftragten Reparaturwerkstatt nachgewiesen worden.

Im Übrigen weise ich Sie darauf hin, dass ich namens meiner Mandantschaft bei den Ihnen gegenüber mit Schreiben vom _________________________ geltend gemachten fiktiven Reparaturkosten eine spätere Nachforderung der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer ausdrücklich vorbehalten habe. Mithin greift allein aus diesem Grund Ihr Argument, mein Mandant habe sich mit der fiktiven Geltendmachung des Schadensersatzes verbindlich auf diese Art der Abrechnung festgelegt, nicht ein.

Danach fordere ich Sie zum unverzüglichen Ausgleich der offenen Restreparaturkosten auf. Hierfür habe ich mir eine Frist bis zum

_________________________ (10-Tages-Frist)

notiert. Nach fruchtlosem Fristablauf werde ich meinem Mandanten die Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe empfehlen.

Mit freundlichen Grüßen

(Rechtsanwalt)

 

Rz. 73

Es empfiehlt sich, bei der (ersten) Abrechnung des Fahrzeugschadens auf fiktiver Gutachtenbasis die spätere Geltendmachung der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer ausdrücklich vorzubehalten. Dadurch wird jegliche Argumentation, dass eine Festlegung auf eine Abrechnungsart erfolgt sei, von vorne herein unterbunden.

 

Rz. 74

 

Hinweis

Bei der Vorlage einer Reparaturrechnung, die geringere Kosten ausweist als den Betrag, der im Gutachten als erforderlich angesehenen wird, ist zu beachten, dass bei einer Abrechnung auf fiktiver Gutachtenbasis der Geschädigte das "Werkstattrisiko" trägt.[75] Dies birgt folgendes Risiko: In vielen Fällen wird der Schädiger bzw. sein Versicherer bei der Nachforderung nunmehr bestreiten, dass der im Gutachten angeführte Betrag der tatsächlich erforderliche Aufwand zur Schadensbeseitigung ist. Ggf. kann dann der Schädiger bzw. sein Kfz-Haftpflichtversicherer erfolgreich einen Rückforderungsanspruch aus § 812 BGB gegen den Geschädigten geltend machen. Die Nachforderung der tatsächlich angefallenen Mehrwertsteuer sollte mithin wohlüberlegt und umso zurückhaltender ausgeübt werden, je größer die Differenz zwischen den laut G...

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