Rz. 224

Besonderen Beschränkungen unterliegt die erstmals in der Berufungsinstanz erklärte Aufrechnung. Nach § 533 Nr. 1 ZPO ist diese nur zulässig, wenn der Gegner in die Aufrechnung in der Berufungsinstanz einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich hält und diese Aufrechnung auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat. Liegen die Voraussetzungen des § 533 Nr. 1 ZPO indes vor, kann eine Aufrechnung nicht an § 531 Abs. 2 ZPO scheitern, da dieser nicht anwendbar ist.[141] Anders verhält es sich lediglich dann, wenn eine Partei gem. § 531 Abs. 2 Nr. 1, 2 ZPO gehindert war, bereits erstinstanzlich die Aufrechnung zu erklären. Denn in diesem Fall wurde die Aufrechnung aufgrund eines Fehlers des Gerichts nicht bereits erstinstanzlich geltend gemacht. Es wäre unbillig, diese fehlerhafte Rechtsanwendung in der Berufungsinstanz zu perpetuieren.[142]

 

Rz. 225

 

Hinweis

Entscheidend für die Frage, ob die Aufrechnungserklärung erstmals in der Berufungsinstanz erhoben wird, ist die prozessuale Geltendmachung der Aufrechnung. Unerheblich bleibt also, ob die materiell-rechtliche Aufrechnungserklärung nach § 388 BGB schon vor der letzten mündlichen Verhandlung in erster Instanz abgegeben wurde, wenn die materiell-rechtliche Aufrechnungserklärung nicht durch eine entsprechende Aufrechnungserklärung im Prozess in diesen eingebracht wurde.[143]

 

Rz. 226

Die Aufrechnungserklärung ist nicht neu, wenn das Gericht in erster Instanz die hilfsweise erklärte Aufrechnung unbeachtet gelassen hat, weil es die Klage aus anderen Gründen abgewiesen hat. Kommt das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass die Klageforderung als solche begründet ist und es deshalb auf die hilfsweise erklärte Aufrechnung ankommt, so unterliegt diese nicht den Beschränkungen des § 533 ZPO.

 

Rz. 227

Die Zulassung der Aufrechnung in der Berufungsinstanz setzt zunächst voraus, dass

der Gegner einwilligt;
 

Rz. 228

 

Hinweis

Diese Einwilligung kann auch stillschweigend geschehen, wenn sich der Kläger rügelos auf die Aufrechnung einlässt.

 

Rz. 229

 

Praxistipp

Der Berufungskläger sollte aus diesem Grunde grundsätzlich die Zulässigkeit einer erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Aufrechnung bestreiten und in der Sache nur hilfsweise und aus Gründen der anwaltlichen Fürsorge gegenüber seinem Mandanten die Berechtigung der Aufrechnung bestreiten.

und die Aufrechnung sachdienlich ist.
 

Rz. 230

 

Hinweis

Maßgebend für die Beurteilung der Sachdienlichkeit ist neben einer Abwägung der beiderseitigen Interessen in erster Linie der Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit. Dabei kommt es allein auf die objektive Beurteilung an, ob und inwieweit die Zulassung der Klageänderung den sachlichen Streitstoff im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits ausräumt und einem anderenfalls zu gewärtigenden weiteren Rechtsstreit vorbeugt.[144] Die Aufrechnung wird grundsätzlich dann als sachdienlich anzusehen sein, wenn diese in rechtlichem Zusammenhang mit der Klageforderung steht und mit der Zulassung und Entscheidung über die Aufrechnungsforderung eine umfassende Beilegung eines Streites zwischen den Parteien erreicht werden kann.

Die Sachdienlichkeit der Zulassung der Aufrechnung in der Berufungsinstanz kann nicht deswegen verneint werden, weil die Aufrechnung schon in erster Instanz hätte erklärt werden können.[145]

 

Rz. 231

Allerdings ist die Sachdienlichkeit auch nicht schon dann anzunehmen, wenn die Aufrechnungsforderung rechtskräftig festgestellt ist. Die erstmalige Aufrechnung mit einer rechtskräftig festgestellten Gegenforderung in zweiter Instanz ist nach Ansicht des OLG Hamm nämlich dann nicht sachdienlich i.S.v. § 533 Nr. 1 ZPO, wenn die Wirksamkeit der Aufrechnung aus Gründen in Frage steht, die durch die Rechtskraft nicht bereits entschieden sind, und deshalb die Beurteilung eines völlig neuen Streitstoffs durch das Berufungsgericht erforderlich wird.[146] Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Aufrechnende die Aufrechnungsforderung erst nach der rechtskräftigen Feststellung im Wege der Abtretung erworben haben will und die Wirksamkeit dieser Abtretung in Frage steht.

 

Rz. 232

Im Einklang damit, dass die Berufungsinstanz nach der ZPO-Reform keine vollständige zweite Tatsacheninstanz, sondern lediglich eine Instanz zur Fehlerfeststellung und Fehlerbeseitigung sein soll, wird die Möglichkeit der Aufrechnung auf die Fälle beschränkt, in denen die Beurteilung der Aufrechnungsforderung und der in erster Instanz festgestellten Tatsachen und der nach § 529 ZPO in der Berufungsinstanz neu zugelassenen Tatsachen möglich ist. In diesem Sinne ist dem Bevollmächtigten die Möglichkeit abgeschnitten, über das Instrument der Aufrechnung neuen Tatsachenstoff in die Berufungsinstanz einzuführen.

 

Rz. 233

 

Praxistipp

Dies macht es für den Beklagten notwendig, in jedem Fall die Richtigkeit und Vollständigkeit des Tatbestandes zu überprüfen, selbst wenn er in erster Instanz erfolgreich war. Enthält d...

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