Rz. 132

In der Berufungsinstanz ist die Erhebung der Widerklage nur unter den Voraussetzungen des § 533 ZPO zulässig. Dies ist dann der Fall, wenn

der Gegner einwilligt oder das Gericht die Widerklage für sachdienlich hält und
die Widerklage auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat.
 

Rz. 133

Nach § 529 Abs. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Tatsachenfeststellung erforderlich wird.[92] Hierzu zählt nach der Rechtsprechung des BGH der gesamte erstinstanzlich zur Akte gelangte Prozessstoff.[93]

 

Rz. 134

 

Hinweis

Da nach § 33 ZPO für die Begründung der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Prozessgerichts erster Instanz ein rechtlicher und tatsächlicher Zusammenhang zwischen Klage und Widerklage erforderlich sein kann, sofern kein eigenständiger Gerichtsstand für die Widerklage am Ort der Klage begründet ist, wird in vielen Fällen die Widerklage auf die Tatsachen gestützt werden können, die auch der Klage zugrunde liegen.

 

Rz. 135

 

Beispiel

Das erstinstanzliche Gericht hat einen Verkehrsunfall auf der Grundlage einer Haftungsquote von 60 % zu 40 % zulasten des Beklagten ausgeurteilt. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers wie auch des Beklagten.

Ist der Schaden des Beklagten unstreitig, kann dieser nunmehr im Berufungsverfahren bei dem der Höhe nach unstreitigen Schaden auf der Grundlage der bereits in erster Instanz vorgetragenen und festgestellten Tatsachen zur Ursache und zum Hergang des Verkehrsunfallereignisses seinen Schaden im Wege der Widerklage geltend machen. Damit ist zugleich aber ausgedrückt, dass der Kläger der Widerklage im Berufungsverfahren die Grundlage entziehen kann, wenn er den neuen Vortrag ganz oder teilweise streitig stellt.

 

Rz. 136

Möglich ist auch, die Widerklage gegen einen Dritten erstmals im Berufungsverfahren zu erheben, wenn dieser einwilligt und die weiteren Voraussetzungen für die Erhebung der Widerklage gegen den Dritten vorliegen. Es steht allerdings zu befürchten, dass sich nur in Ausnahmefällen ein Dritter auf eine solche erstmalig in der Berufungsinstanz erhobene Drittwiderklage einlässt, da dem Dritten so eine Instanz abschließend genommen wird.

 

Rz. 137

Die Erhebung der Widerklage in der Berufungsinstanz setzt voraus, dass der Beklagte und Widerkläger selbst eine zulässige Berufung oder Anschlussberufung erhoben haben, da das Berufungsgericht nur im Rahmen der Berufungsanträge nach § 528 ZPO entscheiden kann, die wiederum voraussetzen, dass eine eigenständige Berufung oder Anschlussberufung vom Beklagten erhoben wurde.

 

Rz. 138

Das Gericht wird die Sachdienlichkeit der erstmals in der Berufungsinstanz erhobenen Widerklage jedenfalls dann anzunehmen haben, wenn die Widerklage geeignet ist, den Streit zwischen den Parteien endgültig und alsbald abschließend zu entscheiden, es im Wesentlichen auf die Beantwortung einer Rechtsfrage ankommt und auch für die Widerklage der Weg in die Berufungsinstanz eröffnet wäre, wenn diese schon in erster Instanz erhoben worden wäre. Für die Zulassung der Widerklage in der Berufungsinstanz spricht dementsprechend der Grundsatz der Prozessökonomie.

 

Rz. 139

 

Praxistipp

Eine Widerklage in der Berufungsinstanz wird insbesondere auch dann in Betracht kommen, wenn der Kläger mit einer Teilklage in erster Instanz überwiegend abgewiesen wurde.

Verfolgt der Kläger mit der Berufung nunmehr sein Klagebegehren weiter, so kann der Beklagte zunächst – je nach Vorlage einer Beschwer – seinerseits eine selbstständige Berufung oder aber eine Anschlussberufung einlegen und auf der Grundlage des erstinstanzlichen Urteils eine negative Feststellungswiderklage mit dem Ziel erheben, den Kläger auch mit dem über die Teilklage hinausgehenden Anspruch, dessen er sich berühmt, abzuweisen, wenn nicht der alsbaldige Verjährungseintritt lockt.

Da dieser über die Klageforderung hinausgehende Anspruch regelmäßig von den gleichen entscheidungserheblichen Tatsachen abhängt wie der zur Entscheidung gestellte Teilklageanspruch, stellt § 533 Nr. 2 ZPO mit der Beschränkung des Tatsachenstoffes nach §§ 529, 531 ZPO dann kein erhebliches Hindernis dar.

 

Rz. 140

Der BGH hat entschieden, dass eine erstmals in der Berufungsinstanz erhobene Widerklage jedenfalls dann zulässig ist, wenn der Gegner eingewilligt hat und die entscheidungserheblichen Tatsachen unstreitig sind.[94]

 

Rz. 141

Ist die Widerklage unzulässig, so hindert dies das Berufungsgericht nicht, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.[95] Geht das Gericht nach § 522 Abs. 2 ZPO vor, wird die gleichwohl erhobene Widerklage wirkungslos.[96]

[92] Wann konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsa...

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