Rz. 35

Der Vielzahl der dargestellten Vorteile einer Widerklage stehen eine Reihe von Vorteilen der Aufrechnung mit der bestehenden Gegenforderung im Prozess gegenüber.

 

Rz. 36

Als wesentlicher Vorteil ist zu bezeichnen, dass die Aufrechnung gegen die Klageforderung nicht dazu führt, dass die Aufrechnungsforderung rechtshängig wird. Ist die Aufrechnungsforderung also bereits Gegenstand eines anderen Rechtsstreites, so ist wegen des Einwandes der anderweitigen Rechtshängigkeit nach § 261 ZPO zwar die Widerklage, nicht aber die Aufrechnung ausgeschlossen.

 

Rz. 37

 

Hinweis

Um prozessuale Nachteile zu vermeiden, sollte allerdings der Versuch unternommen werden, das Klageverfahren über die Aufrechnungsforderung zum Ruhen zu bringen bzw. nach § 148 ZPO aussetzen zu lassen.[15] Hier ist allerdings zu beachten, dass eine Aussetzung nur in Betracht kommt, wenn mit einer Entscheidung über die zur Aufrechnung gebrachte Forderung zu rechnen ist.[16] Nichts anderes gilt dann, wenn der Beklagte mit ein und derselben Forderung in zwei Verfahren hilfsweise die Aufrechnung erklärt. Hier sollte das zweite Verfahren ausgesetzt werden.[17]

 

Rz. 38

Ist für den Gegenanspruch kein eigener Gerichtsstand am Ort der Hauptklage begründet, so setzt § 33 ZPO für den besonderen Gerichtsstand der Widerklage voraus, dass Klage und Widerklage in einem rechtlichen Zusammenhang stehen.

 

Rz. 39

Dieses Erfordernis besteht hinsichtlich der Aufrechnung nicht, sodass diese auch dann geltend gemacht werden kann, wenn die Aufrechnungsforderung als Gegenforderung des Beklagten in keinem rechtlichen Zusammenhang zu der Klageforderung steht.

 

Rz. 40

Als weiterer Vorteil kann sich herausstellen, dass die Erklärung der Aufrechnung im Prozess jederzeit zurückgenommen werden kann, ohne dass es unter den Voraussetzungen des § 269 ZPO für diese der Zustimmung des Klägers bedarf.[18] § 269 ZPO findet nämlich nur auf Klagen, nicht aber auf zur Aufrechnung gestellte Gegenforderungen Anwendung. Dies bedeutet zugleich, dass die mit der Rücknahme einer Widerklage verbundene Kostentragungspflicht nach § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO bei der Rücknahme der Aufrechnungserklärung nicht greift.

 

Rz. 41

Außerdem ist die Aufrechnung kostenneutral. Denn eine Streitwerterhöhung greift gemäß § 45 Abs. 3 GKG lediglich bei der Hilfsaufrechnung, nicht hingegen bei der Primäraufrechnung.[19]

 

Rz. 42

Einen besonderen prozesstaktischen Vorteil bringt die Aufrechnung auch, wenn der Kläger nur eine Teilforderung geltend macht, weil er die Aufrechnungsforderung vermeintlich berücksichtigt, ohne jedoch seinerseits die Aufrechnung ausdrücklich zu erklären.

 

Rz. 43

 

Beispiel

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch in Höhe von 25.000 EUR aus einer ständigen Lieferbeziehung. Gleichzeitig hat der Beklagte Ansprüche gegen den Kläger in Höhe von 15.000 EUR aus Rücklieferungen. Der Kläger macht dementsprechend mit seiner Klage 10.000 EUR geltend. Eine Aufrechnung seiner Forderung von 25.000 EUR in Höhe von 15.000 EUR mit der Gegenforderung des Beklagten hat er zu keinem Zeitpunkt erklärt.

Der Beklagte kann nunmehr gegen die Klageforderung mit seiner Gegenforderung in Höhe von 15.000 EUR aufrechnen, sodass er den Prozess auch dann gewinnt, wenn ihm gegen die materiell rechtlich verbleibende Forderung von 10.000 EUR des Klägers keine Einwendungen zur Verfügung stehen.[20] Außergerichtlich muss er dann die Forderung ausgleichen, sodass der Kläger aber jedenfalls die Prozesskosten tragen muss.

 

Rz. 44

 

Praxistipp

Diese Verfahrensweise kommt insbesondere dann in Betracht, wenn der Beklagte Anlass zur Klage gegeben hat oder ein Anerkenntnis nicht mehr als sofortiges Anerkenntnis i.S.d. § 93 ZPO anerkannt werden könnte.[21]

 

Rz. 45

Im Verhältnis zur Widerklage muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Aufrechnung ein echtes Verteidigungsmittel ist und damit den Präklusionsvorschriften nach § 296 ZPO unterliegt.

 

Rz. 46

Die Aufrechnungsforderung muss deshalb rechtzeitig, d.h. also regelmäßig bereits in der Klageerwiderung[22] substantiiert dargelegt werden. Gelingt dem Beklagten ein rechtzeitiger Vortrag diesbezüglich nicht, so ergeht auch über die Aufrechnungsforderung eine der Rechtskraft fähige Entscheidung, sodass die zur Aufrechnung gestellte Forderung in einem gesonderten Prozess nicht mehr geltend gemacht werden kann.[23] Deshalb muss in diesem Fall die Aufrechnung prozessual zurückgenommen werden.

[15] Zöller/Greger, § 145 Rn 18a.
[17] BGH NJW-RR 2004, 1000 = MDR 2004, 705 = BGH-Report 2004, 689.
[19] Musielak/Stadler, § 145, Rn 28.
[20] BGH NJW-RR 1994, 1203; BGH NJW 1988, 2542.
[21] Siehe hierzu § 6 Rdn 1 ff.
[22] BGH NJW 1984, 1964.
[23] BGH WM 1987, 1086; 1986, 864.

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