Rz. 73

Für den Betroffenen als Laien und häufig für den ihn beratenden Anwalt ist es schwierig, bei der Überprüfung eines Gutachtens die Kriterien herauszufinden und zu beachten, die als Indizien für Mängel von Fahreignungsgutachten in Betracht kommen.

 

Rz. 74

Ein Gutachten muss folgende Aussagen enthalten:

Aussage zum Realitätsbezug bzw. zur Glaubhaftigkeit der Angaben des Betroffenen. Die Glaubhaftigkeit muss geprüft und das Ergebnis der Prüfung dargestellt werden.
Aussagen zur Bestimmung der individuellen Fragestellung.
Über die Fragestellung der Behörde hinaus muss die Fragestellung sich auf den besonderen Fall des Betroffenen beziehen.
Aussage zur Diagnose der individuellen Problematik, ihres Ausprägungsgrades und ihrer Entwicklung.
Die Feststellungen zur Diagnose müssen belegt werden.
Aussagen zum Lösungsweg und zur Lösung.
Aus der Problematik müssen Lösungswege abgeleitet werden.
Aussagen zur Diagnose des gegenwärtigen Zustandes des Betroffenen (Istzustand). Erforderlich ist ein Abgleich zwischen der Diagnose zum Istzustand und dem Vergleich des Sollzustandes.
Aussagen des Gutachtens müssen im Einzelnen begründet werden. Die Aussagen des Gutachtens mit ihren Belegen und Begründungen müssen erkennbar sein. Die erhobenen Daten müssen in einem besonderen Teil des Gutachtens (Befundteil) dargestellt werden.[46]
 

Rz. 75

Zusätzlich ist zu beachten, dass im Gutachten "zu unterscheiden ist zwischen Feststellungen der Gutachter (Befunden) und Feststellungen der Betroffenen".[47]

 

Rz. 76

Notwendig ist die Durchführung einer Exploration als Grundlage für den Einsatz und die Interpretation aller anderen Verfahren. Die im Allgemeinen und speziell zum Untersuchungsanlass gegebenen Tatsachen müssen Gegenstand der Exploration sein.

 

Rz. 77

Zur Feststellung und zur Wertung der Angaben des Betroffenen ist bei Kunkel[48] ausgeführt, und dies soll wegen der besonderen Wichtigkeit wiedergegeben werden:

Zitat

Wenn der Gutachter die Angaben eines Betroffenen zu einer Tatsache (z.B. Delikt) nicht akzeptiert, weil sie unrealistisch sind, muss er dies im Gutachten kenntlich machen. Er muss es auch dem Betroffenen rückmelden, um ihm eine Chance zu geben, Missverständnisse auszuräumen und/oder eine realistische Schilderung zu liefern. Die Rückmeldung muss im Gutachten vermerkt sein. Das Gleiche gilt für die Beschreibung einer Verhaltensentwicklung. Wenn ein Betroffener die Entwicklung einer Verhaltensweise, etwa des Trinkverhaltens, unrealistisch beschreibt, muss ihm dies rückgemeldet werden. Nur so erhält er die Chance, die Verhaltensentwicklung realistisch darzustellen oder ein Missverständnis auszuräumen. Gutachten, in denen Angaben eines Betroffenen als unrealistisch bzw. unglaubhaft bezeichnet werden, ohne dass auf eine Rückmeldung hingewiesen wird, sind nicht nachvollziehbar, da die Exploration unvollständig war oder unvollständig wiedergegeben wurde. Das gilt auch, wenn Feststellungen des Betroffenen, die sich nicht aus konkreten Angaben des Betroffenen ergeben, ohne Nachfrage bleiben. Wenn ein Betroffener z.B. sagt, er habe aufgehört zu trinken, weil er gemerkt habe, dass der Alkohol nicht gut für ihn sei, muss immer nachgefragt werden, woran er das gemerkt habe. Erst wenn konkrete Einzelheiten bekannt sind, kann geprüft werden, ob eine solche pauschale Erklärung die realistische Folgerung aus Erfahrungen darstellt, oder ob sie ohne Erlebnishintergrund ist. Widersprüche zwischen den Angaben des Betroffenen oder zwischen seinen Angaben und den objektiven Tatbeständen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen sind aufzuklären. Die Aufklärung muss im Gutachten dargestellt werden. Wenn eine Aufklärung nicht möglich ist, muss das ebenfalls im Gutachten dargestellt und bewertet werden.

 

Rz. 78

Schließlich muss der Gutachter, wenn er den Betroffenen auf einen bestimmen Kurs hinweist, im Einzelfall nachweisen, dass das Kursziel für den Betroffenen erreichbar ist. Für Betroffene, die abstinent sein müssen, ist die Teilnahme an einem Kurs mit dem Therapieziel "kontrolliertes Trinken" nicht möglich. Bei dem Nachweis der Kurseignung sind die vom Kursautor angegebenen Kriterien zu beachten.

 

Rz. 79

Speziell die Zuweisung zur Teilnahme am Kurs "kontrolliertes Trinken" hat zwei Voraussetzungen, die die Problemeinsicht betreffen:

Der Betroffene muss in der Lage sein, kontrolliertes Trinken überhaupt zu erlernen. Voraussetzung für die Beurteilung ist eine Diagnose des Alkoholproblems bei dem Betroffenen.
Der Betroffene muss sich im Kurs mit seinem Alkoholproblem auseinander setzen und für ihn individuelle erfolgreiche Schlüsse ziehen können.[49]
[46] Kunkel, zfs 1996, 241 (242).
[47] Vgl. im Einzelnen Himmelreich/Janker/Karbach, Rn 1015 ff.
[48] Kunkel, zfs 1996, 241 (243).
[49] Buschbell/Geiger, MAH Straßenverkehrsrecht, § 6 Rn 191.

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