Rz. 89

Das Berufungsgericht hat die Klageabweisung damit begründet, dass der Kläger die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Teilschmerzensgeld trotz rechtlicher Hinweise durch das Gericht nicht vorgetragen habe. Auf Teilschmerzensgeld könne nur geklagt werden, wenn sich die künftige Entwicklung noch nicht überschauen lasse, deswegen das insgesamt angemessene Schmerzensgeld noch nicht endgültig beurteilt werden könne und sich deshalb das Gericht außer Stande sehe, den Betrag in voller Höhe zu ermitteln. Nur in solchen Ausnahmefällen müsse dem Verletzten, um ihm eine Entschädigung für zukünftige Schäden nicht abzuschneiden, für den bisher überschaubaren Zeitraum ein Teilschmerzensgeld zugesprochen und die Geltendmachung einer weiteren Entschädigung für die Zukunft vorbehalten werden. Das mache der Kläger jedoch nicht geltend, sondern glaube, ein Teilschmerzensgeld nur deshalb verlangen zu können, weil es sich um eine teilbare Geldforderung handle. Das berechtige den Geschädigten jedoch nicht, ein Teilschmerzensgeld einzuklagen. Der einheitliche Schmerzensgeldanspruch lasse sich – von dem Ausnahmefall ungewisser Zukunftsschäden abgesehen – nicht in zwei oder mehr Teile "zerlegen". Für sich bereits abzeichnende Verletzungsfolgen sei die angemessene Höhe des Schmerzensgeldes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung unter Einbeziehung sämtlicher schmerzensgeldrelevanter Faktoren zu ermitteln, die durch das entsprechend festgesetzte Schmerzensgeld dann auch abgegolten seien.

Dagegen wandte sich die Revision mit Erfolg.

 

Rz. 90

Zutreffend war der Ansatz des Berufungsgerichts, dass es der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes gebietet, die Höhe des dem Geschädigten zustehenden Schmerzensgeldes aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadensfall prägenden Umstände unter Einbeziehung der absehbaren künftigen Entwicklung des Schadensbildes zu bemessen (vgl. Großer Senat BGHZ 18, 149; Senatsurt. v. 6.12.1960 – VI ZR 73/60, VersR 1961, 164, 165 und v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99, VersR 2001, 876). Dabei steht die mit der Verletzung verbundene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen stets an der Spitze. Denn Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden bilden das ausschlaggebende Moment für den angerichteten immateriellen Schaden. Im Übrigen lässt sich ein Rangverhältnis der zu berücksichtigenden Umstände nicht allgemein aufstellen, weil diese Umstände ihr Maß und Gewicht für die vorzunehmende Ausmessung der billigen Entschädigung erst durch ihr Zusammenwirken im Einzelfall erhalten (vgl. BGHZ 18, 149, 157 ff.). Soweit die Revision darauf hinwies, dass der Begriff der Einheitlichkeit sich daneben auf die Doppelfunktion des Schmerzensgeldes als Ausgleich und Genugtuung für die erlittenen Verletzungen bezieht, führt dies zu keiner anderen Beurteilung, sondern bedeutet nur, dass der Anspruch weder in einen Betrag auf angemessenen Ausgleich und einen weiteren Betrag zur Genugtuung, noch in Teilbeträge zum Ausgleich bestimmter Verletzungen aufgespalten werden kann (vgl. Senatsurt. v. 6.12.1960 – VI ZR 73/60, a.a.O.).

 

Rz. 91

Das wurde vom Berufungsgericht im Grundsatz nicht verkannt.

In Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertrat es die Auffassung, dass mit dem auf eine unbeschränkte Klage insgesamt zuzuerkennenden Schmerzensgeld nicht nur alle bereits eingetretenen, sondern auch alle erkennbaren und objektiv vorhersehbaren künftigen unfallbedingten Verletzungsfolgen abgegolten werden (vgl. Senatsurt. v. 8.7.1980 – VI ZR 72/79, VersR 1980, 975; v. 24.5.1988 – VI ZR 326/87, VersR 1988, 929 f.; v. 7.2.1995 – VI ZR 201/94, VersR 1995, 471, 472; v. 20.3.2001 – VI ZR 325/99, a.a.O.; BGH, Urt. v. 4.12.1975 – III ZR 41/74, VersR 1976, 440). Das stellte auch die Revision nicht in Frage.

 

Rz. 92

Mit Erfolg machte sie jedoch geltend, dass das Berufungsgericht bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall, die vom Kläger vorgetragenen Tatsachen nicht gewürdigt hatte (§ 286 ZPO).

 

Rz. 93

Nach den bereits mit der Klageschrift vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen bestand die Gefahr, dass es beim Kläger zu einer Humeruskopfnekrose kommen konnte, die eine erneute operative Versorgung und höchstwahrscheinlich eine Schulterprothese erfordern konnte; außerdem drohte die Gefahr einer sich zunehmend entwickelnden Handgelenksarthrose, die im Falle ihres Auftretens mittelfristig eine Korrekturoperation erforderlich machen konnte. Somit ließ sich eine Aussage darüber, ob und in welchem Umfang in der Zukunft noch Spätfolgen der Unfallverletzungen auftreten konnten, zum damaligen Zeitpunkt nicht treffen. Es bestand jedenfalls die Möglichkeit eines weiteren Schadenseintritts.

 

Rz. 94

Auf diesen Vortrag hatte der Kläger in der Berufung nicht nur Bezug genommen, sondern in der Erwiderung auf die Anschlussberufung ausdrücklich vorgetragen, dass mit der vorliegenden Klage ausdrücklich ein bezifferter Teilbetrag des Schmerzensgeldes geltend gemacht werde, da...

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