Rz. 98

Die Möglichkeit, Strafentscheidungen im Entziehungsverfahren der Verwaltungsbehörde zu berücksichtigen, richtet sich nach § 3 Abs. 4 S. 1 und S. 2 Hs. 1 StVG. Hiernach darf die Verwaltungsbehörde in dem Entziehungsverfahren von einem Sachverhalt, der Gegenstand einer strafgerichtlichen Entscheidung gegen den Inhaber einer Fahrerlaubnis gewesen ist, zum Nachteil des Inhabers der Fahrerlaubnis in bestimmten Punkten nicht abweichen. Dies gilt für den Inhalt eines Urteils, eines Strafbefehls oder eines Beschlusses, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt wurde.

 

Rz. 99

Aus der vorstehend aufgeführten Regelung folgt, dass die Fahrerlaubnisbehörde weder berechtigt noch verpflichtet ist, in eine erneute Prüfung einzutreten, ob der Sachverhalt sich wirklich so ereignet hat, wie er in der strafgerichtlichen Entscheidung festgestellt ist. Sie darf insoweit keine Zeugen oder Sachverständigen vernehmen oder anhören.

 

Rz. 100

Andererseits darf und muss die Fahrerlaubnisbehörde jedoch relevante Sachverhalte, die in dem strafgerichtlichen Verfahren nicht festgestellt worden sind, ihrerseits aufklären.[76] Ebenso ist sie wegen des Grundsatzes des gesetzmäßigen Verwaltungshandelns verpflichtet, erkennbare Fehler der Straf- oder Bußgeldentscheidung zu korrigieren: Dies gilt etwa bei einer erkennbar falschen Anwendung von BAK-Rückrechnungsmethoden durch das Strafgericht. Relevant werden kann dies bei der Frage, ob bei Tatbegehung ein BAK-Wert über 1,6 Promille vorgelegen hat (was zu einer MPU im Wiedererteilungsverfahren führt) oder eben nicht.

 

Rz. 101

Auch ist die Verwaltungsbehörde bei ihrer Würdigung des vom Strafgericht festgestellten Sachverhaltes an die Beurteilung der Schuldfrage gebunden, also an die Feststellung, ob die Tat vorsätzlich oder fahrlässig begangen wurde. Voraussetzung hierbei ist, dass der strafgerichtlichen Entscheidung eine Beurteilung mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen ist.[77]

 

Rz. 102

Problematisch kann die Frage der Beurteilung der Kraftfahrteignung in der strafgerichtlichen Entscheidung sein. In der Praxis sind insoweit häufig allgemeine Formulierungen entsprechend der gesetzlichen Vermutung zur Ungeeignetheit enthalten. Auch insoweit ist eine Bindungswirkung nur gegeben, wenn den Gründen der strafgerichtlichen Entscheidung Anhaltspunkte zur Frage der Kraftfahrteignung zu entnehmen sind.[78]

[76] Vgl. hierzu Bode/Winkler, § 13 Rn 23.
[77] Hentschel/König/Dauer, § 3 StVG Rn 57.
[78] BVerwG NZV 1988, 238; VGH Mannheim SVR 2010, 235; Hentschel/König/Dauer, § 3 StVG Rn 58 ff.

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