Rz. 25

Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bedarf es gemäß § 49 Abs. 1 FamFG eines Anordnungsanspruchs. Sie muss also nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sein. Außerdem muss ein Anordnungsgrund vorliegen. Dies setzt ein dringendes Bedürfnis für ein unverzügliches Tätigwerden voraus, das ein Abwarten bis zur Entscheidungsreife in der Hauptsache nicht gestattet, weil dies zu spät kommen und die Kindesinteressen nicht genügend wahren würde, also mit einem erheblichen Nachteil verbunden wäre.[61] Damit wurde ein – auch aus verfassungsrechtlichen Gründen (siehe dazu Rdn 6) – von der Rechtsprechung entwickeltes Tatbestandsmerkmal[62] ausdrücklich normiert. Ein solch dringendes Bedürfnis liegt insbesondere regelmäßig vor, wenn die Eltern sich hinsichtlich des künftigen Obhutselternteils uneinig sind; denn es widerspricht grundsätzlich dem Kindeswohl, eine Frage von solch erheblicher Bedeutung ungeregelt zu lassen.[63] Ein weiterer typischer Anwendungsfall ist die eigenmächtige Änderung des Aufenthalts des Kindes.[64] Auch wenn erwiesen oder zumindest glaubhaft gemacht ist, dass ein Elternteil ein Kind sexuell missbraucht, liegt die Dringlichkeit selbstredend vor.[65] Weitere Fälle sind notwendige Entscheidungen kurz vor einem anstehenden Termin (Einschulung, Taufe, Operation). In Verfahren nach § 1666 f. BGB fehlt es regelmäßig an der gebotenen Dringlichkeit einer Maßnahme, wenn sich die drohenden Beeinträchtigungen erst über längere Zeiträume entwickeln und sich die Gefährdungslage im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht derart verdichtet hat, dass ein sofortiges Einschreiten geboten wäre.[66] Im vereinfachten Verfahren nach § 155a FamFG kann über die gemeinsame elterliche Sorge nur in Ausnahmefällen im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden werden.[67]

 

Rz. 26

Einen spezifischen, an den Richter gerichteten Prüfungsauftrag enthalten die § 156 Abs. 3 FamFG und § 157 Abs. 3 FamFG für Kindschaftssachen. Kann in einer solchen Angelegenheit, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betrifft, im ersten Termin nach § 155 Abs. 2 FamFG kein Einvernehmen erzielt werden, so hat das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten und dem Jugendamt den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erörtern, ­soweit im Termin – etwa wegen der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder der Teilnahme der Eltern an einer Beratung nach § 156 Abs. 2 S. 4 FamFG – keine abschließende Regelung protokolliert wird. In Verfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB hat das Gericht nach § 157 Abs. 3 FamFG unverzüglich den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu prüfen. Ziel der Prüfungspflicht ist im Fall des § 157 Abs. 3 FamFG der Schutz des Kindeswohls vor einer Gefährdung. In den Fällen des § 156 Abs. 3 FamFG soll einer Entfremdung oder der Verfestigung einer bestehenden Kontinuität durch weiteren Zeitablauf vorgebeugt werden.

 

Rz. 27

Die im Eilverfahren dem Gericht zur Verfügung stehenden Entscheidungsmöglichkeiten folgen aus § 49 Abs. 2 FamFG. Als grundlegende Maßnahme kommt die Sicherung bzw. vorläufige Regelung eines Zustandes in Betracht. Übernommen wurden damit die aus der ZPO bekannten Instrumente der Sicherungsanordnung (§ 935 ZPO) und der Regelungsanordnung (§ 940 ZPO). Dem Gericht werden aber auch – orientiert an § 938 Abs. 2 ZPO – weitergehende Maßnahmen eröffnet, die für die praktische Umsetzung – gerade in Kindschaftssachen – erhebliche Bedeutung haben und einer Entscheidung in der Hauptsache gleichstehen können, ohne dass der Gesetzgeber eine abschließende Aufzählung angestrebt hätte.[68] Nur beispielhaft werden etwa Gebote oder Verbote genannt, die gerade im Zusammenhang mit Umgangsrechtsverfahren besondere Bedeutung besitzen.[69] Allerdings dürfen nur solche Maßnahmen ergriffen werden, die auch in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren angeordnet werden dürften; denn das einstweilige Anordnungsverfahren ist zwar nicht mehr verfahrensrechtlich, aber weiterhin materiell-rechtlich akzessorisch.[70] Die Hauptsache darf also nicht vorweggenommen werden. Deshalb ist es im Eilverfahren nach § 1671 Abs. 1 BGB – vorbehaltlich einer gemäß § 1671 Abs. 4 i.V.m. § 1666 BGB festgestellten Kindeswohlgefährdung – nicht statthaft, dem Obhutselternteil zur Auflage zu machen, den Aufenthaltsort des Kindes bis zum Abschluss des Verfahrens nicht zu verändern.[71] Auch die Einräumung des Bestimmungsrechts über den Vornamen des Kindes im Verfahren nach § 1628 BGB kann grundsätzlich nicht im Wege einstweiliger Anordnung erfolgen.[72]

 

Rz. 28

Zu beachten ist das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache,[73] das unmittelbar aus § 49 Abs. 1 FamFG folgt ("vorläufige Maßnahme"). Eine solche Vorwegnahme kann allenfalls dann in Betracht kommen, wenn dem Antragsteller nur so ausreichender Rechtsschutz gewährt werden kann.[74] Das ist angesichts des breiten Maßnahmenspektrums im Kindschaftsrecht äußerst selten vorstellbar. So wird etwa im Falle der beabsichtigen Auswanderung eines Eltern...

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