Rz. 57

 

Beispiel: Nichteinladung zur Eigentümerversammlung

Der Verwalter verschickt die Einladung zur Eigentümerversammlung wie üblich ohne Zugangsnachweis; eine Zugangsfiktion ist in der Gemeinschaftsordnung nicht enthalten. Miteigentümer A nimmt an der Eigentümerversammlung nicht teil. Anschließend erhebt er Anfechtungsklage gegen sämtliche auf der Versammlung gefassten Beschlüsse mit der Begründung, er sei nicht geladen worden. – A trägt schlüssig einen Ladungsfehler vor. Die Gemeinschaft hat die Beweislast für den Zugang (→ § 7 Rdn 25), den sie aber nicht führen kann. Somit steht fest, dass A entgegen § 24 Abs. 4 WEG nicht geladen wurde. Ladungsfehler führen nicht zur Nichtigkeit gefasster Beschlüsse,[66] begründen aber die Anfechtbarkeit, sofern sich der Ladungsfehler auf das Abstimmungsergebnis ausgewirkt haben kann.[67] Rein theoretisch kann sich ein Ladungsfehler zwar immer auswirken. So könnte man im Beispiel argumentieren, dass A – wenn er teilgenommen hätte – in der der Abstimmung vorausgehenden Aussprache durch überzeugende Argumente das Abstimmungsverhalten der übrigen Abstimmenden beeinflusst und dadurch ein anderes Ergebnis bewirkt hätte.[68] In der älteren Instanzrechtsprechung wurden deshalb hohe, praktisch unerfüllbare Anforderungen an die Widerlegung der – im Wege einer Vermutung unterstellten – Kausalität des Ladungsfehlers gestellt (→ § 2 Rdn 49). Bei lebensnaher Betrachtung muss sich A aber fragen lassen, welche überzeugenden Argumente er denn konkret vorgebracht hätte und wieso davon auszugehen sein soll, dass die Abstimmung anders ausgefallen wäre, wenn er sie vorgebracht hätte. Das muss umso mehr gelten, je größer die den angefochtenen Beschluss tragende Mehrheit ist. Wenn A hierzu nichts Überzeugendes vorzubringen hat, kann seine Anfechtung keinen Erfolg haben (→ § 2 Rdn 50).

 

Rz. 58

 

Beispiel: Unberechtigte Einladung durch einen Miteigentümer

In einer verwalterlosen Gemeinschaft beruft ein Wohnungseigentümer eine Versammlung ein, auf der unter anderem ein Verwalter bestellt wird. Der Bestellungsbeschluss wird angefochten. – Ohne Erfolg. Dazu der BGH: "Die Erklärung eines Beschlusses für ungültig scheidet in der Regel aus, wenn feststeht, dass sich der Beschlussmangel auf das Abstimmungsergebnis nicht ausgewirkt hat. Anders verhält es sich nur bei schwerwiegenden Verstößen, die dazu führen, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Mitgliedes in gravierender Weise ausgehebelt wird oder wenn die Regeln des Wohnungseigentumsgesetzes über die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums systematisch missachtet, etwa Einladungen zu Wohnungseigentümerversammlungen immer wieder sehenden Auges und bewusst von einem dazu nicht ermächtigten oder sonst befugten Wohnungseigentümer ausgesprochen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Der Beschlussmangel hat sich hier nicht ausgewirkt. Das Ergebnis der Abstimmung wäre aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nicht anders ausgefallen, hätten die Beklagten, wie geboten, eine gerichtliche Ermächtigung zur Einladung oder eine Verurteilung der Kläger, einer Einladung zuzustimmen oder an ihr mitzuwirken, erwirkt."[69]

 

Rz. 59

Zu den im vorstehenden Beispielsfall erwähnten "schwerwiegenden Verstößen, die dazu führen, dass das Teilnahme- und Mitwirkungsrecht eines Mitgliedes in gravierender Weise unterlaufen wird" angenommen, gehören insbesondere die vorsätzliche Nichteinladung sowie der unberechtigte Ausschluss aus einer Versammlung.[70] Weil das Recht zur Teilnahme an der Eigentümerversammlung zum Kernbereich des Wohnungseigentums gehört, darf ein solcher Verstoß nicht deswegen sanktionslos bleiben, weil er für die konkrete Beschlussfassung möglicherweise nicht kausal war. Die Rechtsprechung betrachtet die auf solchen Versammlungen gefassten Beschlüsse deshalb nicht nur als rechtswidrig, sondern als nichtig. Kritik: Die Rechtsfolge "Nichtigkeit" ist der Rechtssicherheit abträglich, weshalb die Rspr. schon aus diesem Grund abzulehnen ist. Es würde genügen, die Anfechtbarkeit zu bejahen und bei einer etwaigen Versäumung der Anfechtungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

 

Rz. 60

 

Beispiel: Unangekündigte Beschlussfassung

Angekündigt und beschlossen wird der Wirtschaftsplan für das Jahr 2023. Mit großer Mehrheit, aber ohne Ankündigung wird des Weiteren in Ergänzung des Wirtschaftsplans eine Liquiditäts-Sonderumlage zum Abbau der Unterdeckung des Jahres 2021 beschlossen. Miteigentümer A ficht an. – Mit Erfolg. Bei ordnungsmäßiger Ankündigung wären möglicherweise bestimmte bei der Beschlussfassung nicht anwesende Miteigentümer erschienen oder hätten Miteigentümer, die sich vertreten ließen, gewisse Weisungen zum Abstimmungsverhalten erteilt; es kann also nicht festgestellt werden, dass der Beschluss bei ordnungsgemäßer Einberufung genauso gefasst worden wäre.[71] Kritik: Mag auch die Begründung im Allgemeinen richtig sein, im Beispielsfall ist sie nicht überzeugend: Zur Beschlussfassung gab es keine rechtmäßige Alternative. Wenn aber...

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