A. Einleitung

 

Rz. 1

Die Beteiligung eines Dritten an einem Rechtsstreit, um diesen an das Prozessergebnis zu binden, ist eine äußerst wichtige Prozesshandlung. Bereitet der Rechtsanwalt eine Klageerhebung vor, kommen oft alternativ verschiedene Anspruchsgegner in Betracht. Dann muss die Erforderlichkeit einer Streitverkündung geprüft werden. Entsprechendes gilt für den Prozessvertreter eines Beklagten bei Abfassung der Klageerwiderung bei der Möglichkeit eines Regresses. Die Rechtskraft einer das Prozessrechtsverhältnis zwischen Kläger und Beklagtem betreffenden Entscheidung wirkt grundsätzlich nur "inter partes" (Ausnahme: Rechtskrafterstreckung) und nur auf den Urteilsspruch bezogen. Daher besteht die Gefahr widerstreitender Urteile, wenn der Sachverhalt eines Rechtsstreites noch einmal im Verhältnis zu einem Dritten (selbst wenn es der eigene Streitgenosse ist[1]) eine Rolle spielt. Es droht dann der "doppelte Prozessverlust", wenn Kläger oder Beklagter aus demselben Sachverhalt auch Rechte gegen Dritte herleiten oder deren Ansprüche befürchten. Diese Gesichtspunkte sind frühzeitig zu beachten.

 

Rz. 2

Mit der Streitverkündung soll ein bisher nicht beteiligter Dritter an das Prozessergebnis gebunden werden (sog. Interventionswirkung nach §§ 74, 68 ZPO). Weiterhin wird durch die Streitverkündung die Verjährung der Ansprüche des Streitverkünders gegenüber dem Streitverkündungsadressaten gehemmt (§ 204 Abs. 1 Nr. 6 BGB). Vereinzelt schreibt das Gesetz auch eine Pflicht zur Streitverkündung vor (wenn z.B. der Pfändungsgläubiger gegen den Drittschuldner klagt, muss er dem Schuldner gem. § 841 ZPO regelmäßig den Streit verkünden).

 

Rz. 3

Auch der Streitverkündungsempfänger muss bei seiner Entscheidung über einen Beitritt abwägen. Die Möglichkeiten des Streitverkündungsadressaten, mit einem Beitritt etwa zu taktieren, um seinen Sachvortrag erst zu gegebener Zeit im Prozessverlauf vorzutragen, werden durch die Präklusionsvorschriften bzw. die begrenzte Zulassung neuen Vorbringens in der Berufungsinstanz begrenzt. Im Zweifel ist es auch geboten, den Streit (ggf. auch mehreren Dritten) zu verkünden.

 

Rz. 4

Maßgebliche gesetzliche Vorschriften für die Streitverkündung sind die §§ 7274 ZPO. In ihrer prozessrechtlichen Wirkung weist die Streitverkündung erhebliche Überschneidungen zur Nebenintervention auf. Während bei einer Streitverkündung (§§ 72 ff. ZPO) ein nicht beteiligter Dritter in den Prozess eingebunden werden soll, wird der Nebenintervenient (§§ 66 ff. ZPO) von vornherein selbst initiativ und erklärt seinen Beitritt. Beide eint die sog. Interventionswirkung nach § 68 ZPO (vgl. § 74 ZPO), die weiter als die Rechtskraftwirkung reicht. Im Wege der Nebenintervention kann sich also ein Dritter (ohne eine ausgesprochene Streitverkündung) an einem zwischen zwei anderen Personen anhängigen Rechtsstreit beteiligen und eine Partei, an deren Obsiegen er ein rechtliches Interesse hat, unterstützen. Der Begriff des rechtlichen Interesses in § 66 Abs. 1 ZPO ist weit auszulegen. Erforderlich ist, dass der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt. Der bloße Wunsch der Nebenintervenienten, der Rechtsstreit möge zugunsten einer Partei entschieden werden, und die Erwartung, dass die damit befassten Gerichte auch in einem künftigen eigenen Rechtsstreit mit einer Partei an einem einmal eingenommenen Standpunkt festhalten und zu einer ihnen günstigen Entscheidung gelangen sollten, stellen lediglich Umstände dar, die ein tatsächliches Interesse am Obsiegen einer Partei zu erklären vermögen. Auch der denkbare Umstand, dass in beiden Fällen dieselben Ermittlungen angestellt werden müssen oder über gleichgelagerte Rechtsfragen zu entscheiden ist, genügt nicht.[2]

 

Rz. 5

 

Beispiel

Der Krankenversicherer des Patienten hat lediglich ein tatsächliches Interesse am Ausgang eines Arzthaftungsprozesses zwischen Patient und Arzt bzw. Krankenhaus. Er ist unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits im Umfang seiner Einstandspflicht gegenüber dem Patienten eintrittspflichtig. Allein die Unterstützung des Patienten mit dem Ziel, in einem späteren Prozess selbst erfolgreich zu regressieren, genügt nicht für ein rechtliches Interesse.[3]

[1] Zur komplexen Lage bei notwendigen Streitgenossen BGH NJW-RR 2014, 903.
[2] Zum Ganzen BGH NJW-RR 2011, 907, 908.

B. Rechtliche Grundlagen

I. Zulässigkeit der Streitverkündung

1. Gesetzliche Voraussetzungen

 

Rz. 6

Nach § 72 ZPO ist die Streitverkündung zulässig, wenn eine Partei (Kläger, Beklagter, Antragsteller oder Antragsgegner) meint, für den Fall des ihr ungünstigen Ausganges des Rechtsstreites einen Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen einen Dritten (Dritter kann auch der eigene/fremde Streitgenosse sein[4]) zu haben ("Sicherungsstreitverkündung") oder den Anspruch eines Dritten besorgen zu müssen ("Abwehrstreitverkündung"). Die Zulässigkeit der Streitverkündun...

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