Rz. 2

Die Kapitalisierung von Ansprüchen gehört zu den schwierigsten Themen im Bereich des Personenschadensrechts und auch eines derjenigen, die von den Rechtsanwälten zuweilen nur rudimentär erfasst und beherrscht werden. Angesichts der Tragweite und Bedeutung der Kapitalisierung für die Höhe des Schadensersatzanspruchs des Geschädigten und des Umstands, dass in der außergerichtlichen Schadensregulierung ein Schadensfall überwiegend umfassend ein für alle Mal abgefunden wird und somit eine Schadensersatzrente "kapitalisiert" wird, ist dies gleichermaßen bemerkenswert wie "haftungsträchtig" (!). Es ist wirklich verwunderlich, dass innerhalb diese Themenkomplexes in der Anwaltschaft Vieles unbekannt ist und schlichtweg unrichtig angewandt wird. Die nachfolgenden Ausführungen sollen daher ein wenig "Licht ins Dunkel" bringen und zusammen mit den voranstehenden Literaturhinweisen das gebotene Problembewusstsein wecken und zur tiefergehenden Auseinandersetzung mit diesem Thema anregen. Die Ausführungen sollen somit nur einen ersten Überblick geben. Wer sich intensiver mit der Kapitalisierung befassen will, kommt an der Konsultation von Spezialliteratur nicht vorbei.

Wenn Fachleute sich über dieses Thema unterhalten, fallen u.a. die Begriffe "Kapitalisierungszinsfuß", "Diskontierung" "Zinsschwankungen", "Barwert", "Barwerttafeln", "wichtiger Grund" i.S.v. § 843 Abs. 3 BGB, "Rentendynamik", "Laufzeiten von Schadensersatzrenten", "Inflationsbereinigung/Geldentwertung", "Abgeltungssteuer" und "Günstigerformel". Allein der Bezug zu wirtschaftsmathematischen Themen lässt insbesondere den nicht im Personenschadensrecht spezialisierten Rechtsanwalt erst einmal – getreu der Devise "judex non calculat" – zurückschrecken, was zur Folge hat, dass den sehr spezialisierten Sachbearbeitern von Versicherern das "Feld" und somit die Deutungshoheit bei der Höhe der Abfindungssumme/des Risikovergleichs überlassen wird.

 

Rz. 3

Die grundsätzlichen Themen und Begriffe sollen im Folgenden daher erläutert werden, so dass nach Durcharbeit dieses Kapitels zumindest ein wenig Sensibilität für das Thema der Kapitalisierung besteht und in den nächsten Vergleichsgesprächen zugunsten des Geschädigten bessere Verhandlungsergebnisse erzielt werden.

 

Praxistipp

Gerade Anwälte haben bei dem Thema "Kapitalisierung" erheblichen Nachholbedarf, da sie diesen wichtigen Aspekt der Schadensregulierung viel zu oft dem Versicherer überlassen. Der Versicherer ist hochprofessionell geschult, so dass der Außenschadensregulierer, der einen Personengroßschaden mit dem Geschädigtenanwalt bespricht, oftmals leichtes Spiel hat. Dieses Ungleichgewicht ist zu beseitigen – und zwar durch eine richtige Kapitalisierung von Rentenansprüchen. Für Vergleiche – gerade auch für den Verlauf und das Ergebnis von Vergleichsgesprächen – ist die richtige Kapitalisierung von enorm wichtiger Bedeutung.

 

Praxistipp

Generell kann gesagt werden, dass nur dann, wenn der Anwalt auf gleicher Augenhöhe mit dem professionell geschulten Sachbearbeiter des Versicherers steht, er eine Chance hat, durch Sachargumente und fundierte Rechtsprechungskenntnisse höhere Schadensersatzansprüche für seinen Mandanten zu erreichen. Versicherer sind überwiegend als Aktiengesellschaft organisiert und ausschließlich auf Gewinnmaximierung ausgerichtet. Kein Versicherer wird daher aus ethisch moralischen oder anderen Gründen höhere Zahlungen für den Geschädigten erbringen. Er wird nur dann mehr leisten, wenn er merkt, dass der gegnerische Anwalt über gleichermaßen gute Sachkenntnisse verfügt, ein Prozess möglicherweise mit höheren Kosten verbunden wäre und von daher ein außergerichtlicher Vergleich in tatsächlicher, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoller erscheint. In der richtigen Kapitalisierung liegt mithin die Chance für den Anwalt, der Geschädigte vertritt: Er kann durch eine professionelle Arbeitsweise für seinen Mandanten erheblich höhere Zahlungen erreichen, als wenn er sich nicht mit dieser Materie befasst und mehr oder weniger "nach Gefühl" die Schadensregulierung vornimmt.

 

Rz. 4

Wie bereits in den vorherigen Kapiteln ausgeführt, kann der Geschädigte mehrere Ansprüche haben. So zum Beispiel einen Haushaltsführungsschaden, der monatlich zu einer Zahlung berechtigt. Darüber hinaus kann er aber auch einen monatlichen Zahlungsanspruch haben, weil er einen Erwerbsschaden hat oder aber es ist ein monatlicher Betrag zu zahlen, weil er unter dem Stichwort der vermehrten Bedürfnisse einen Zahlungsanspruch hat. Nachdem die monatlichen Beträge der jeweiligen einzelnen Schadenspositionen (vermehrte Bedürfnisse, Erwerbsschaden, Haushaltsführungsschaden etc.) errechnet und beziffert wurden, kann der Geschädigte den Versicherer auffordern, gem. §§ 843 Abs. 1, 2, 670 BGB die Rentenzahlungen quartalsmäßig vorschüssig zu leisten.

 

Rz. 5

Der Geschädigte kann aber auch an seinen Anwalt herantreten und diesen fragen, ob es möglich ist, eine Kapitalabfindung vom Versicherer zu bekommen. Man spricht dann von der Ka...

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