Rz. 64

Die finanzielle Dimension eines Zinssatzes von 2 % anstelle von 5 % für die Versicherungsbranche soll anhand von überschlägigen Zahlen und Berechnungen verdeutlicht werden:

Statistisch gesehen verletzen sich im Straßenverkehr ca. 400.000 Menschen jährlich. Die aktuelle Zahl für 2016 des Statistischen Bundesamts lag bei 396.700 Menschen. Allerdings sind nicht alle Verkehrsopfer den sog. Schwerstverletzten zuzuordnen, sondern die überwiegende Zahl sind Leichtverletzte, bei denen die Kapitalisierungsproblematik grundsätzlich keine Rolle spielt. Es kann jedoch über die Jahrzehnte ein Mittelwert gebildet werden, dass in etwa jedes Jahr 30.000 bis 50.000 Schwer- und Schwerstverletzte im Straßenverkehr auftreten.
Geht man ferner von einem realistischen Einsparwert von 200.000 EUR aus, der einen Unterschied von 2 % zu 5 % pro Schwerstverletztenfall ausmacht, so kann sich jeder die Einsparung überschlägig einmal vor Augen führen.
Geht man ferner davon aus, dass dies nur die "Spitze des Eisberges" ist, da dies lediglich die Haftpflichtfälle im Straßenverkehr betrifft, jedoch die Zinsproblematik auch die anderen Haftpflichtfälle wie Arzthaftung, private Haftpflichtfälle, Tierhalterhaftpflichtschäden und sonstige Haftpflichtschäden betrifft, so ergibt sich hierdurch noch ein wesentlich anderer Betrag und "Einspareffekt".
Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass der Geschädigte nur zu ⅓ aktivlegitimiert ist. ⅔ eines Großschadens darf der Geschädigte nicht selbst geltend machen, da hier die Sozialversicherungsträger (Berufsgenossenschaften, Deutsche Rentenversicherung, Krankenkasse, Pflegeversicherung etc.) Anspruchsinhaber sind. In der Regel werden die Sozialversicherungsträger aktuell auch noch mit zu hohen Zinssätzen (oftmals im Rahmen von Sammelgesprächen) abgefunden. Die Autoren haben jedoch den Eindruck aus diversen Gesprächen mit Sozialversicherungsträgern (SVT) und Regulierern gewonnen, dass sich auch der Regress mit den SVT für die Versicherer zunehmend schwieriger gestaltet und 5 %ige Abzinsungen nicht mehr akzeptiert werden. Die Wichtigkeit des Zinssatzes ist aufgrund der oben genannten Zahlen damit evident.
Sollte daher in Zukunft wieder einmal das Argument der Versicherer vorgebracht werden, dass die Geschädigten keine höheren Abfindungsbeträge verlangen dürften, weil auf Grund dessen die Versichertengemeinschaft durch nachhaltige Erhöhung der Versicherungsprämien belastet werden würde, so müsste man konsequenterweise als Gegenargument die oben errechneten tatsächlichen Einsparungen vorbringen und den Versicherer zugleich dazu auffordern, nachvollziehbare Berechnungen zu seiner Prämienkalkulation vorzulegen. Nach Ansicht des Autors dürfte es sich bei der Argumentation des Versicherers auch lediglich um ein Scheinargument handeln, da die Prämienkalkulation insbesondere im Kfz-Schadensbereich vornehmlich von anderweitigen Erwägungen getragen sein dürfte (Stichwort: "Verdrängungswettbewerb").
 

Rz. 65

Angesichts dieser Erkenntnisse ist es nicht nur legitim, sondern geradezu zwingend, dass die Geschädigten im Rahmen von Abfindungsvergleichen/der Kapitalisierung nicht mehr einen Kapitalisierungszins in Höhe von 5 % akzeptieren, sondern die Anwendung eines Zinssatzes einfordern, der aktuell in jedem Fall unterhalb von 3 % liegt.

Aus Sicht der Verfasser gibt es nur eine Möglichkeit, die zur Kapitalisierung bestehende Rechtspraxis der Versicherer zu ändern, nämlich durch ein dezidiertes, hartnäckiges und mutiges Vorgehen, das darin besteht

die Vorschrift des § 843 Abs. 3 BGB konsequent sowie zutreffend auszulegen und anzuwenden – und zwar extensiv zugunsten des Geschädigten;
einen Anspruch auf Kapitalisierung geltend zu machen und diesen Anspruch dann auch dezidiert zu berechnen und sich nicht lediglich auf den vom Versicherer vorgeschlagenen pauschalierten Abfindungsvergleich einzulassen;
keinesfalls mit einem Kapitalisierungszinsfuß von 5 % zu arbeiten.

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