Rz. 192
Grundsätzlich muss der Beklagte keinen besonderen Vollstreckungsschutzantrag für den Fall stellen, dass er mit seiner Rechtsverteidigung unterliegt und die Klage Erfolg hat. Die Entscheidung hierüber trifft das Gericht von Amts wegen.
Rz. 193
Nach § 709 ZPO gilt der Grundsatz, dass Urteile nur gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Rz. 194
Soweit aufgrund der Höhe des Hauptsachewertes oder der Kosten oder in einem sonstigen Fall des § 708 Nr. 4–11 ZPO eine vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung für den Kläger in Betracht kommt, hat das Gericht von Amts wegen nach § 711 ZPO dem Beklagten die Möglichkeit einzuräumen, zur Abwendung der Zwangsvollstreckung Sicherheit zu leisten, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Rz. 195
Die Rechtsposition des Beklagten, in einem möglichen Rechtsmittelverfahren mit seiner Rechtsverteidigung durchzudringen, ist also durch die Sicherheitsleistung, die den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO neben der Hauptleistung und den Prozesskosten sichert, hinreichend geschützt.
Rz. 196
Hinweis
Da in § 108 ZPO neben der möglichen Hinterlegung von Geld oder mündelsicheren Wertpapieren auch die Möglichkeit der Sicherheitsleistung durch die schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland-Geschäftsbetrieb zugelassenen Kreditinstituts vorgesehen ist, bedarf es auch insoweit keiner besonderen Antragstellung.
Rz. 197
Anders stellt sich die Situation allerdings dar, wenn die Zwangsvollstreckung eines für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils
▪ | dem Beklagten einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde oder |
▪ | der Beklagte zu einer Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist. |
Rz. 198
In diesen Fällen hat er die Möglichkeit nach § 712 ZPO, um besonderen Vollstreckungsschutz nachzusuchen.[114]
Rz. 199
Der Vollstreckungsschutz des § 712 ZPO erfasst dabei in der ersten Alternative sowohl die Vollstreckungen nach § 709 ZPO als auch nach § 708 Nr. 4–11 ZPO, in der zweiten Alternative nur die Zwangsvollstreckungen nach §§ 708 Nr. 4–11, 711 ZPO.
Rz. 200
Ein nicht zu ersetzender Nachteil droht dem Schuldner insbesondere dann, wenn die vorläufige Vollstreckung eines Urteils dem Schuldner die wirtschaftliche Existenz entziehen und ihn in die Insolvenz drängen würde.
Rz. 201
Nicht ausreichend sind mithin die regelmäßig mit der Zwangsvollstreckung einhergehenden Nachteile für den Schuldner. Vielmehr muss dessen Belastung durch die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils darüber hinausgehen.
Rz. 202
Der Beklagte muss als Schuldner die Tatsachen, die einen nicht zu ersetzenden Nachteil durch die Vollstreckung begründen oder die seine Unfähigkeit zur Erbringung einer Sicherheitsleistung begründen, gem. § 714 Abs. 2 ZPO glaubhaft machen (§ 294 ZPO).
Rz. 203
Auch wenn die Zwangsvollstreckung dem Schuldner einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringt, ist dem Antrag des Schuldners nach § 712 Abs. 2 ZPO nicht zu entsprechen, wenn ein überwiegendes Interesse des Gläubigers entgegensteht. Auch hier gilt, dass der Gläubiger ein über die reine Befriedigung hinausgehendes Interesse geltend machen muss, welches ebenfalls nach § 714 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen ist.
Rz. 204
Hinweis
In der Praxis wird regelmäßig übersehen, dass es sich bei dem Schutzantrag des Schuldners nach § 712 ZPO um einen Sachantrag handelt, der in der mündlichen Verhandlung gestellt werden muss. Ein etwa erst im Berufungsverfahren gestellter Antrag, die Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil einstweilen einzustellen, ersetzt einen Schutzantrag nach § 712 ZPO nicht.[115] Der Bevollmächtigte muss aus diesem Grunde schon in der Beratung mit dem Mandanten klären, ob Gründe vorliegen, die einen Antrag nach § 712 ZPO rechtfertigen.
Rz. 205
Umstritten ist, ob die Einstellung der Zwangsvollstreckung im Berufungsverfahren schon allein deshalb ausscheidet, weil der Schuldner erstinstanzlich keinen Antrag nach § 712 ZPO gestellt hat[116] oder ob die Rechtsprechung des BGH zur Einstellung im Revisionsverfahren[117] insoweit nicht auf das Berufungsverfahren übertragbar ist.[118]
Rz. 206
Praxistipp
Wird dieser Antrag mit der Klageerwiderung gestellt, im Urteil dann aber übergangen und nicht beschieden, kann eine Urteilsergänzung nach § 321 ZPO beantragt werden.[119]
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