Rz. 74

Insbesondere wenn der Beklagte unter Liquiditätsschwierigkeiten leidet, kann sein wirtschaftliches Interesse allein dahin gehen, die Klageforderung nicht sofort ausgleichen zu müssen, um seine Liquidität zu erhalten. In der rechtlichen Beratung muss hier natürlich auch die Durchführung eines Insolvenzverfahrens, bei natürlichen Personen insbesondere das Verfahren zur Restschuldbefreiung erörtert werden.

 

Rz. 75

Auch gänzlich außerhalb der rechtlichen Beurteilung liegende Gesichtspunkte wie emotionale Beziehungen, etwa bei der Auseinandersetzung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft, Ehe- und Familiensachen oder auch Erbschaftsstreitigkeiten, aber auch der Wille durch die Verzögerung eines Prozesses eine Gesamtrechtsbereinigung, etwa die Trennung von Gesellschaftern einer GbR oder einer juristischen Person zu erreichen, können hier eine Rolle spielen.

 

Rz. 76

Ob und inwieweit eine allein auf Verzögerung angelegte Prozesstaktik mit der Funktion des Bevollmächtigten als selbstständiges Organ der Rechtspflege und seinen Berufspflichten nach § 43 BRAO vereinbar ist, muss im Einzelfall entschieden werden, sollte aber nicht gänzlich außerhalb der Betrachtungen bleiben.

 

Rz. 77

Erste Überlegung des Bevollmächtigten in diesem Zusammenhang muss sein, ob mit dem Gegner ein Ratenzahlungsvergleich geschlossen werden kann. Reicht auch hierfür zunächst die Liquidität des Mandanten nicht aus, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Mandant trotz der mangelnden Aussicht auf Erfolg bei seiner Rechtsverteidigung unter Berücksichtigung des Kostenrisikos auf das streitige Verfahren einlassen will.

 

Rz. 78

 

Praxistipp

Auch hier gilt es für den Bevollmächtigten zur Vermeidung späterer Haftungsstreitigkeiten und ehrengerichtlicher Verfahren,[37] das Ziel und den Weg der Verfahrensverzögerung ebenso gegenüber dem Mandanten schriftlich zu fixieren wie die sich daraus möglicherweise ergebenden weiteren Ansprüche Dritter aus Verzug oder anderen Anspruchsgrundlagen. Der Bevollmächtigte sollte in schriftlicher Form den Mandanten auch darüber unterrichten, dass und warum er der Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg beimisst, damit spätere Regressforderungen schon im Ansatz verhindert werden.[38]

Diese schriftliche Belehrung sollte verbunden werden mit einer vollständigen Aufstellung der durch den Prozess veranlassten Gerichtskosten sowie der außergerichtlichen Kosten des Gegners und der eigenen Kosten.

Nur bei dieser ausdrücklichen Belehrung, die als solche auch in der Sache und in ihrem Zugang dokumentiert werden sollte, vermeidet der Bevollmächtigte spätere Haftungsstreitigkeiten.

 

Rz. 79

Für die Verzögerung des Rechtsstreites stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:

Wird das schriftliche Vorverfahren angeordnet, kann der Bevollmächtigte des Beklagten zunächst im Rahmen der Notfrist des § 276 Abs. 1 S. 1 ZPO die Verteidigungsbereitschaft anzeigen. Unmittelbar vor Ablauf der gesetzten Klageerwiderungsfrist kann dann erstmals um Verlängerung der Klageerwiderungsfrist gebeten werden. Diese wird in der Praxis ohne Weiteres gewährt. Weitere Fristverlängerungen können dann beantragt werden, die je nach Belastung des Gerichts und der Verhaltensweise des Klägers gewährt werden können. Der Mandant sollte aber bereits im Vorfeld darauf hingewiesen werden, dass weitere Fristverlängerungen nicht zwingend gewährt werden. Denn es handelt sich gem. § 225 Abs. 1 ZPO um eine Ermessensentscheidung. Im Falle einer weiteren Fristverlängerung ist gem. § 225 Abs. 2 ZPO zusätzlich die Anhörung des Klägers vorgeschrieben.
 

Rz. 80

 

Praxistipp für den Kläger

Hat der Kläger – womöglich aufgrund des außergerichtlichen Verhaltens des Beklagten – Anhaltspunkte dafür, dass der Beklagte das Verfahren lediglich verzögern möchte, sollte er der Verlängerung der Klageerwiderungsfrist, jedenfalls einer zweiten Verlängerung, unmittelbar widersprechen und dabei die Anhaltspunkte für eine auf Verfahrensverzögerung angelegte Prozesstaktik offenlegen. Dabei können insbesondere auch entsprechende vorgerichtliche Verzögerungen angeführt werden.

 

Rz. 81

Wird eine weitere Fristverlängerung für die Klageerwiderung nicht mehr gewährt, kann die Klageerwiderung zunächst mit allein verfahrensrechtlichen Rügen vorgelegt werden.
 

Rz. 82

Für solche verfahrensrechtlichen Rügen bietet eine Vielzahl von Klageschriften Anlass, die den gesetzlichen Anforderungen[39] nicht genügen. Die Checklisten über die Anforderungen an eine Klageschrift, wie sie in "§ 4 – Die Klageschrift" dargestellt sind, kann daher auch der Beklagte für sich nutzbar machen.

 

Rz. 83

So ergeben sich insbesondere bei mehreren möglichen Gerichtsständen zunächst Anhaltspunkte dafür, die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit des angerufenen Gerichts zu rügen.[40]

 

Rz. 84

 

Praxistipp

Hat der Kläger die Wahl unter mehreren Gerichtsständen und leitet er zunächst ein Mahnverfahren ein, so ist etwa in der Angabe des Streitgerichts im Mahnbescheidsantrag eine Wahl zu sehen, die nicht mehr korri...

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