Rz. 81

Das gesetzgeberische Vorhaben fußt auf der Idee, Maßnahmenstufen bei auffälligen Kraftfahrern – und nun auch Radfahrern – einzuführen. Je nach Punktestand soll dieser bei Verstößen eine Maßnahmenstufe "weiterrücken". Unglücklich ist die "Tachoampel", mit der das BMVBS ursprünglich die jeweiligen Maßnahmenstufen dargestellt hat.[66] Inzwischen ist die Grafik aber modifiziert worden.[67] Etwas weniger problematisch dürfte daher folgende Darstellung der Maßnahmen sein:

Verkehrsteilnehmer mit einem Punktestand von 1–3: Vormerkung, aber ohne Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde
Ab einem Punktestand von 4–5 Punkten ist die Stufe der Ermahnung erreicht, sodann die Information zum Fahreignungs-Bewertungssystem und ein freiwilliges Fahreignungsseminar möglich, das einen Punktabbau ermöglicht.
Ab 6–7 Punkten wird es für den Kraftfahrer ernst, weil eine Verwarnung ausgesprochen wird.
Sind 8 Punkte erreicht, ist der Entzug der Fahrerlaubnis vorzunehmen.

Die Maßnahmen allerdings treffen ausschließlich die Fahrerlaubnisinhaber nach § 7 StVG.[68]

Danach sind nach § 7 Abs. 4 StVG die Fahrerlaubnisinhaber mit einem Punktestand von einem Punkt bis zu drei Punkten mit der Speicherung der zugrundeliegenden Entscheidungen nach § 28 Abs. 3 Nr. 1 oder 3 für die Zwecke des Fahreignungs-Bewertungssystems vorgemerkt. Ein Punkteabbau ist natürlich möglich.

 

Rz. 82

In § 7 Abs. 5 StVG ist dann geregelt, dass die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber den Inhabern einer Fahrerlaubnis Maßnahmen stufenweise zu ergreifen hat, also gebundenes Ermessen vorliegt, wenn sich in der Summe diese Punktestände ergeben.

Wichtig ist allerdings noch, dass die Behörde obligatorisch für das Ergreifen der Maßnahmen auf den Punktestand abstellen muss, der sich zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit ergeben hat. Insofern werden bei der Berechnung des Punktestandes nur diejenigen Zuwiderhandlungen eingestellt, deren Tilgungsfrist zum Zeitpunkt der Begehung der letzten zur Ergreifung der Maßnahme führenden Straftat oder Ordnungswidrigkeit noch nicht abgelaufen waren. Entfallen im Laufe der Zeit Punkte wegen des Ablaufes der Tilgungsfrist, kann dies aber nicht mehr in Ansatz gebracht werden.

Hierzu ist auch die Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 3.6.2014 – 10 S 744/14[69] zu sehen, deren Leitsätze lauten:

Zitat

Nach dem Fahreignungsbewertungs-System gilt der Fahrerlaubnisinhaber unwiderleglich als ungeeignet, wenn er trotz Durchlaufens der ersten und zweiten Maßnahmenstufen nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG in der ab 1.5.2014 geltenden Fassung so viele fahreignungsrelevante Straftaten oder verkehrssicherheitsbeeinträchtigende Ordnungswidrigkeiten begangen hat, dass er acht und mehr Punkte erreicht. Die gesetzliche Neuregelung des Punktsystems hat nichts daran geändert, dass die Fahrerlaubnis auf der dritten Maßnahmestufe zwingend zu entziehen ist, ohne dass der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessen eingeräumt ist (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 3 StVG neuer Fassung).

 

Hinweis

Das OVG Münster[70] hat entschieden, dass die von den Ministerien schon seit dem 1.5.2014 gewünschte Umsetzung dieser vom Tattagprinzip abweichenden Vorgehensweise unzulässig ist, weil bzgl. der Entscheidungen zwischen dem 1.5.2014 und dem 4.12.2014 die seit dem 5.12.2014 in Kraft getretene Rechtsnorm nicht angewendet werden darf. Dies bedeutet, dass quasi drei gesetzliche Grundlagen in kurzer Frist bestehen: bis 30.4.2014, bis 3.12.2014 und ab 5.12.2014!

 

Hinweis

Es ist präzise zu prüfen, ob die Punktzahl bereits erreicht war und die vorherige Stufe ordentlich zugestellt und damit "durchlaufen" war.[71] Mit der Gesetzesänderung zum 4.12.2014 ist die ursprüngliche Maßgabe, dass keine Maßnahmenstufen "übersprungen" werden dürfen, da die Hoffnung, auf das Verhalten des Betroffenen einzuwirken – gerade über die Fahreignungsseminare – bei dem Vorhaben im Zentrum der Überlegungen stand.[72] Auch hielt man für ungerecht, dass ein Fahrerlaubnisinhaber bei tatmehrheitlich begangenen Verstößen auf einen Streich innerhalb von kurzer Zeit seiner Fahrerlaubnis verlustig gehen würde. Daraus folgt, dass nach Tilgung von tilgungsreif gewordenen Punkten auch die jeweiligen Maßnahmenstufen erneut und wiederholt durchlaufen werden können bzw. müssen.[73]

Die Kategorien lauten daher: Vormerkung – Ermahnung – Verwarnung – Entzug. Bei den drei letztgenannten handelt es sich um die jeweils zu durchlaufenden Maßnahmenstufen.

 

Rz. 83

Es ist mit dem OVG Bautzen[74] zu konstatieren, dass der Wechsel von der Warn- und Erziehungsfunktion der Maßnahmestufen zu einer bloßen Hinweisfunktion mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 5.12.2015 vollzogen worden ist. Erst durch die neuen Vorschriften der §§ 4 Abs. 5 S. 6 und Abs. 6 S. 3 und 4 StVG ist die – partielle – Abkehr vom Tattagprinzip offenkundig geworden.

Wohl kann mit § 4 Abs. 7 StVG in der seit dem 1.5.2014 geltenden Fassung die Möglichkeit eines Punkteabzugs durch den freiwilligen Besuch eines Fahreignungss...

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