Rz. 49

Ein wichtiges Thema bei der Verteidigung im Verkehrsstrafrecht bzw. in Bußgeldangelegenheiten stellt die Bindungswirkung von gerichtlichen Entscheidungen bzw. den Einstellungsverfügungen durch die Staatsanwaltschaft dar.

I. Unterscheidung zwischen Entziehungsverfahren und Neuerteilungsverfahren

 

Rz. 50

Es ist immer zwischen dem Entziehungsverfahren und dem Neuerteilungsverfahren zu unterscheiden: Einerseits sind Behörden beim Entziehungsverfahren an andere, bestandskräftige und für das Entziehungsverfahren relevante Entscheidungen gebunden. Hierdurch wird vermieden, dass staatliche Eingriffe unterschiedlich ausfallen. Allerdings gelten andere Regelungen, soweit die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis betroffen ist. Denn die Fahrerlaubnisbehörde darf den Sachverhalt, der Gegenstand eines anhängigen Strafverfahrens gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ist, deren Entziehung nach § 69 StGB in Betracht kommt, im Entziehungsverfahren zwar nicht berücksichtigen, aber durchaus im Neuerteilungsverfahren.[31]

Jedoch ist die Fahrerlaubnisbehörde nach der nur im Verhältnis zu Strafverfahren geltenden Bestimmung des § 3 Abs. 3 StVG nicht gehindert, die Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen, auch wenn wegen desselben Sachverhalts ein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist.[32]

[31] LG Erfurt NZV 2003, 523.
[32] VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 24.7.2007 – 10 S 306/07, zfs 2007, 713 = Blutalkohol Vol. 45/2008; vgl. auch Niedersächsisches OVG zfs 2008, 114.

1. Einstellung durch Strafverfolgungsbehörde

 

Rz. 51

Ein Ziel in der Verteidigung liegt natürlich in der Einstellung des Verfahrens oder sogar im Freispruch des Angeklagten oder Betroffenen. Die Vorschriften aus der StPO nach §§ 153 ff. oder nach § 47 JGG oder aber den Einstellungsvorschriften nach dem OWiG haben grundsätzlich keine Bindungswirkung.

2. Strafgerichtliche Urteile

a) Grundsatz Bindungswirkung

 

Rz. 52

§ 3 Abs. 4 S. 1 StVG gibt vor, dass die im Straf- und Bußgeldverfahren rechtskräftige Entscheidung Bindungswirkung für die Fahrerlaubnisbehörde entfaltet. Sinn und Zweck der Regelung ist, die dem Strafgericht vorgegebene Befugnis nach § 69 StGB einerseits mit der behördlichen Befugnis nach § 3 Abs. 1 StVG andererseits abzustimmen und Doppelprüfungen sowie auch sich widersprechende Entscheidungen zu verhindern.

Dabei hat die gerichtliche Entscheidung Vorrang, weil der Strafrichter eine auf die Zukunft gerichtete, im Rahmen der Hauptverhandlung festgestellte Entscheidung über die Gefährlichkeit des Betroffenen für den öffentlichen Straßenverkehr trifft. Dies stellt keine Nebenstrafe dar.

b) Konkreter Zusammenhang mit Sicherheitsbelangen

 

Rz. 53

Der Große Strafsenat hat mit der Entscheidung vom 27.4.2005 – 2 GSSt 2/04 – festgehalten, dass die Fahrerlaubnis nur entzogen werden kann, wenn ein konkreter Zusammenhang mit Sicherheitsbelangen gegeben ist. Dieser Zusammenhang kann sich aber auch aus früherem Verhalten oder aus der konkreten Durchführung oder Vorbereitung der Tat – was dann aber eigens durch das Tatgericht festgestellt werden muss – ergeben. Stellt das Gericht mithilfe eigener Sachkunde in der Hauptverhandlung keine charakterliche Ungeeignetheit fest, hat es nur mehr die Möglichkeit, als Nebenstrafe ein Fahrverbot zu verhängen.

c) Bindungswirkung für das gesamte Entziehungsverfahren

 

Rz. 54

Die in § 3 Abs. 4 S. 1 StVG angeordnete Bindungswirkung gilt nicht nur für die Maßnahme der Entziehung selbst, sondern nach ihrem Sinn und Zweck für das gesamte Entziehungsverfahren. Dies umfasst auch die vorbereitenden Maßnahmen. Das hat zur Folge, dass die Behörde schon die Beibringung des Gutachtens nicht anordnen darf.[33] Dies gilt auch bei der Punktebewertung für die sich hieran knüpfenden Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 4 Abs. 3 S. 2 StVG. Einzelheiten oder das Vorliegen der Tat werden nicht mehr geprüft.[34]

Dies ergibt sich auch aus der aktuellen Entscheidung des BVerwG vom 28.6.2012 – 3 C 38/11 – in der es wörtlich heißt:

Zitat

Nach § 3 Abs. 3 StVG darf, solange gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis ein Strafverfahren anhängig ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 des Strafgesetzbuches in Betracht kommt, die Fahrerlaubnisbehörde den Sachverhalt, der Gegenstand des Strafverfahrens ist, in einem Entziehungsverfahren nicht berücksichtigen. Diese Regelung wird für die Zeit nach dem Abschluss des Strafverfahrens durch § 3 Abs. 4 StVG ergänzt. Nach dessen Satz 1 kann die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, vom Inhalt des Urteils insoweit nicht abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Das Berücksichtigungsverbot des § 3 Abs. 3 StVG in das Verbot einer abweichenden Entscheidung nach § 3 Abs. 4 StVG übergeht, wenn zwischenzeitlich ein rechtskräftiges Strafurteil ergangen oder es sonst gemäß § 3 Abs. 4 Satz 2 StVG zu einem Abschluss des Strafverfahrens gekommen ist. Soweit nach den dort getroffenen Feststellungen widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörde und Strafgericht ausgeschlossen sin...

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