Rz. 68

Die Vorschriften der §§ 305 ff. BGB über Allgemeine Geschäftsbedingungen und damit auch die Zweifelsfall-Regelung des § 305 lit. c Abs. 2 BGB finden auf Betriebsvereinbarungen keine Anwendung, so § 310 Abs. 4 S. 1 BGB.[198]

Bei der Anwendung der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge sind nach § 310 Abs. 4 S. 2 1. Hs. BGB "die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten" angemessen zu berücksichtigen. Dabei sind die §§ 305 Abs. 2 und 3 BGB nicht anzuwenden (so § 310 Abs. 4 S. 2 2. Hs. BGB). Eine analoge Anwendung von § 305 Abs. 2 BGB scheidet aufgrund der klaren gesetzgeberischen Entscheidung aus.[199] Gemäß § 310 Abs. 4 S. 3 BGB stehen Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen Rechtsvorschriften i.S.v. § 307 Abs. 3 BGB gleich. Die umfassende Bereichsausnahme zugunsten des Arbeitsrechts beschränkt sich infolge des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB nur noch auf arbeitsrechtliche Kollektivvereinbarungen (mithin Tarifverträge sowie Betriebs- und Dienstvereinbarungen).[200] Dies liegt darin begründet, dass diese Vereinbarungen von den Tarifvertragsparteien (bzw. den Betriebspartnern) ausgehandelt worden sind und in dieses kollektivrechtliche System seitens des Gesetzgebers nicht eingegriffen werden soll:[201] "Andernfalls (würde) das System der Tarifautonomie konterkariert",[202] eine Begründung, die jedoch allein für Tarifverträge (nicht jedoch für Betriebs- und Dienstvereinbarungen) zutreffend ist.[203] Bei Tarifverträgen wird – so das die BAG[204] – die bei Individualarbeitsverträgen typischerweise zu verneinende Verhandlungsparität von Verfassung wegen vorausgesetzt, weshalb die Ergebnisse kollektiv ausgehandelter Tarifvereinbarungen die Vermutung der "Angemessenheit" für sich haben – weshalb die AGB-Kontrolle durch die §§ 305 ff. BGB für Tarifverträge gemäß § 310 Abs. 4 S. 1 BGB ausgeschlossen ist.[205] Insoweit soll eine "Tarifzensur" auch nicht mittelbar erfolgen.[206]

Formularmäßig verwendete Klauseln in Arbeitsverträgen, die auf eine solche Kollektivregelung Bezug nehmen oder mit ihr übereinstimmen und lediglich deren gesamten Inhalt wiedergeben, unterliegen deshalb keiner Inhaltskontrolle.[207]

 

Rz. 69

Im Unterschied zur früheren arbeitsgerichtlichen Judikatur unterliegen damit Betriebsvereinbarungen nicht mehr einer gerichtlichen Billigkeitskontrolle.[208] Damit findet zwar bei Betriebsvereinbarungen keine Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB mehr statt – doch sind die Betriebsparteien beim Abschluss ihrer Vereinbarungen gemäß § 75 Abs. 1 und 2 S. 1 BetrVG an die Grundsätze von Recht und Billigkeit gebunden und damit auch zur Wahrung der grundrechtlich geschützten Freiheitsrechte verpflichtet (sog. Binnenschranken). Dazu gehört auch die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Arbeitnehmer.[209]

 

Rz. 70

Arbeitsverträge werden jedoch nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB (eine Regelung, die im Gesetzgebungsverfahren auf eine Bundesratsinitiative zurückgeht)[210] nunmehr grundsätzlich den AGB-Regelungen (§§ 305 ff. BGB) unterstellt[211] – auch "kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien".[212] Die Neuregelung zielt darauf ab, das Schutzniveau der Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht mit jenem im allgemeinen Zivilrecht gleichzusetzen.[213] Die Inhaltskontrolle erfasst auch Einmalklauseln[214] – nicht jedoch Individualvereinbarungen (vgl. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB).[215] Der Gesetzgeber greift mit § 310 Abs. 4 S. 2 BGB zugleich eine einschlägige BAG-Judikatur auf, die auch früher schon nach Maßgabe der §§ 242, 315 BGB eine arbeitsvertragliche Inhaltskontrolle anerkannte.[216]

Wenn ein Arbeitsvertrag Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB beinhaltet, die vom Arbeitgeber für eine Vielzahl von Verträgen gleichlautend verwendet und dem Arbeitnehmer bei Vertragsschluss gestellt werden, sind diese nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind.[217] Maßgebend sind die Verständnismöglichkeiten des typischerweise bei Verträgen der geregelten Art zu erwartenden nicht rechtskundigen Vertragspartners.[218] Der Verwender ist demgemäß verpflichtet, die Rechte und Pflichten des Vertragspartners möglichst klar und überschaubar darzustellen, d.h. sie müssen so gestaltet sein, dass der nicht rechtskundige Durchschnittsarbeitnehmer die benachteiligende Wirkung ohne ­Einholung von Rechtsrat erkennen kann.[219] Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist der Wortlaut eines Formularvertrags nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteilig­ten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertrags...

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