Rz. 15

Vor dem BVerwG und dem OVG besteht – außer im Prozesskostenhilfeverfahren – für alle Beteiligten Vertretungszwang, § 67 Abs. 4 VwGO. Als Bevollmächtigte sind nur die in § 67 Abs. 2 S. 1 VwGO bezeichneten Personen zugelassen, § 67 Abs. 4 S. 3 VwGO. Für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Recht gilt eine Sonderregelung zur Vertretung ("Behördenprivileg", § 67 Abs. 4 S. 4 VwGO), ebenso für bestimmte weitere Vertretungsberechtigte i.S.d. § 67 Abs. 2 S. 2 VwGO (§ 67 Abs. 4 S. 5 ff. VwGO).

 

Rz. 16

Der Vertretungszwang umfasst grundsätzlich alle Verfahren vor dem BVerwG und OVG und zwar unabhängig davon, ob es sich um Verfahren in erster Instanz oder um Rechtmittelverfahren handelt. Er gilt für das gesamte Verfahren und ihm unterliegen nicht nur die Anträge, sondern alle Prozesshandlungen vor diesen Gerichten. Er gilt für die Vertretung außerhalb der mündlichen Verhandlung und für die Vertretung in der mündlichen Verhandlung.

Damit gilt der Vertretungszwang vor allem für das Berufungs- und Beschwerdeverfahren sowie für die Revision. Nach § 67 Abs. 4 S. 2 VwGO gilt der Vertretungszwang aber auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem BVerwG/OVG eingeleitet wird, welche aber noch beim VG vorzunehmen sind (wie Einlegung der zugelassenen Berufung nach § 124a Abs. 2 VwGO, Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO; Einlegung der Beschwerde nach § 147 Abs. 1 VwGO).

 

Rz. 17

Der Bevollmächtigte muss die Rechtsmittelschrift usw. selbst verfassen. Ausführungen des nicht postulationsfähigen Beteiligten sind unzulässige Prozesshandlungen und deshalb unbeachtlich. Die allgemeine Bezugnahme eines Rechtsanwalts auf persönliche Eingaben seines Auftraggebers entspricht nur dann ausnahmsweise den Darlegungserfordernissen, wenn aus ihr erkennbar wird, dass sie das Ergebnis einer Prüfung, Sichtung, rechtlichen Durchdringung und Würdigung des Streitstoffs ist.[11]

 

Rz. 18

Ein von einem RA gestellter Antrag auf Zulassung der Berufung kann wegen des Vertretungszwangs nach § 67 Abs. 1 S. 1 VwGO von dem Vertretenen persönlich nicht wirksam zurückgenommen werden. Im Verfahren mit Vertretungszwang wird die Kündigung einer Prozessvollmacht erst durch Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts wirksam (§ 87 Abs. 1 ZPO entsprechend).[12] Dass ein anwaltlich vertretener Prozessbeteiligter selbst eine wichtige prozessbezogene Erklärung abgibt, genügt für sich alleine nicht, um eine Kündigung der Prozessvollmacht anzunehmen.[13]

Überhaupt können eine von einem Vertretungsberechtigten eingereichte Klage oder ein sonst eingelegtes Rechtsmittel nicht unter Umgehung des Vertretungszwangs zurückgenommen werden.[14]

 

Rz. 19

Vertretungszwang besteht damit vor allem in folgenden Fällen:[15]

Bei erstinstanzlicher Zuständigkeit des BVerwG/OVG: Klageerhebung,
Einlegung der zugelassenen Berufung nach § 124a Abs. 2 VwGO,
Antrag auf Zulassung der Berufung nach § 124a Abs. 4 VwGO,
Einlegung der Beschwerde gem. § 147 Abs. 1 VwGO,
Einlegung der zugelassenen Sprungrevision nach § 134 Abs. 3 S. 2 VwGO,
Rechtsmittelrücknahme,[16]
Streitwert- und Kostenbeschwerden.[17]
 

Rz. 20

Kein Vertretungszwang besteht für das Prozesskostenhilfeverfahren.

Darüber hinaus gehende "ungeschriebene Einschränkungen der Vertretungspflicht gem. § 67 Abs. 4 VwGO" sind streitig.[18]

 

Rz. 21

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO): Der nicht anwaltlich vertretene Kläger hat nach BVerwG[19] einen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) und damit in eine versäumte Rechtsmittelfrist oder Rechtsmittelbegründungspflicht, wenn er innerhalb der noch laufenden Frist alles ihm Zumutbare getan hat, um sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Dazu gehört auch, dass er innerhalb der Frist beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Beiordnung eines RA gestellt hat. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts ist nach § 173 VwGO i.V.m. § 78b ZPO im Anwaltsprozess möglich. Sie setzt regelmäßig voraus, dass sich eine Partei innerhalb der Rechtsmittelfrist bei mehr als nur einem RA vergeblich um eine Prozessvertretung bemüht hat.[20]

 

Rz. 22

Hat das VG in Hinblick auf den Kreis der möglichen Prozessbevollmächtigten eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt, so gilt die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 S. 1 VwGO. Die Rechtsmittelbelehrung des VG ist u.a. unrichtig, wenn die Belehrung den Kreis der möglichen Prozessbevollmächtigten nur unvollständig nennt. Sie erweckt dann nämlich den falschen Eindruck, allein die in ihr genannten Personen seien befugt, einen Antragsteller in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem OVG zu vertreten.

[11] VGH BW VBlBW 1997, 381; weitere Einzelheiten bei Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 67 Rn 56 f.
[12] Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 67 Rn 75 ff.
[13] OVG Saarland, Beschl. v. 20.5.1999 – 1 Q 18/99, 1 U 1/99, SKZ 1999, 274 –Ls.
[14] Schenke, NVwZ 2009, 801, 806.
[15] Insgesamt dazu: Czybulka in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 67 Rn 51 ff.; Schenke, NVwZ 2009, 801 ff.
[16] Begründung zum...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge