Rz. 55

Wie oben gezeigt (siehe Rdn 1 ff.), ist der Straßenbegriff im Straßenverkehrsrecht weiter als der im Wegerecht. Der Begriff der öffentlichen Straße in diesem Sinne erstreckt sich unabhängig von der wegerechtlichen Widmung (rechtlich-öffentliche Wege) auf alle Wege, die tatsächlich für den allgemeinen öffentlichen Verkehr benutzt werden. Dazu gehören zunächst alle Wege im Sinne des Wegerechts, aber auch sog. tatsächlich-öffentliche Wege, auf denen der jeweilige Eigentümer einen öffentlichen Verkehr eröffnet hat oder duldet.[96] Die Nutzung einer Verkehrsfläche als öffentlich kann auch zeitlich eingeschränkt sein (beschränkt öffentliche Wege). Dabei kann die Benutzung eines privaten Grundstücks nur während eines bestimmten Zeitraums für den öffentlichen Verkehr zugelassen sein. Denkbar ist dies z.B. bei Parkhäusern oder Tiefgaragen, die nur zu bestimmten Betriebszeiten zur Verfügung gestellt werden.[97] Hier ist der Einzelfall entscheidend. So soll es beim Kundenparkplatz einer Gaststätte auf die Öffnungszeiten der Gaststätte nicht maßgebend ankommen.[98]

 

Rz. 56

Die Unterscheidung zwischen öffentlichen und privaten Wegen hat vor allem auch im Verkehrsstrafrecht Auswirkungen.[99]

So hat der BGH[100] zum "öffentlichen Verkehrsraum" entschieden:

Zitat

"… Erfasst werden zum einen alle Verkehrsflächen, die nach dem Wegerecht des Bundes und der Länder oder der Kommunen dem allgemeinen Verkehr gewidmet sind (z.B. Straßen, Plätze, Brücken, Fußwege). Ein Verkehrsraum ist darüber hinaus auch dann öffentlich, wenn er ohne Rücksicht auf eine Widmung und ungeachtet der Eigentumsverhältnisse entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch tatsächlich so genutzt wird (Senatsurteil v. 4.3.2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; Senatsbeschluss v. 8.6.2004 – 4 StR 160/04, NStZ 2004, 625; SSW-StGB/Ernemann, § 142 Rn 9). Für die Frage, ob eine Duldung des Verfügungsberechtigten vorliegt, ist nicht auf dessen inneren Willen, sondern auf die für etwaige Besucher erkennbaren äußeren Umstände (Zufahrtssperren, Schranken, Ketten, Verbotsschilder etc.) abzustellen. Eine Verkehrsfläche kann zeitweilig "öffentlich" und zu anderen Zeiten "nicht-öffentlich" sein (Geppert in LK-StGB, 12. Aufl., § 142 Rn 14). Die Zugehörigkeit einer Fläche zum öffentlichen Verkehrsraum endet mit einer eindeutigen, äußerlich manifestierten Handlung des Verfügungsberechtigten, die unmissverständlich erkennbar macht, dass ein öffentlicher Verkehr nicht (mehr) geduldet wird (vgl. Senatsurteil vom 4.3.2004 – 4 StR 377/03, BGHSt 49, 128, 129; OLG Düsseldorf NZV 1992, 120; Pasker, NZV 1992, 120, 121)…"

 

Rz. 57

Öffentlicher Straßenverkehr findet – ohne Rücksicht auf die Eigentumsverhältnisse oder die verwaltungsrechtliche Widmung i.S.d. Wegerechts – dann statt, wenn der Verkehrsraum aufgrund ausdrücklicher oder stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten tatsächlich für jedermann zur Benutzung zugelassen ist. Nur dann, wenn die Benutzung lediglich einem bestimmten eng umgrenzten Personenkreis gestattet ist, muss die Öffentlichkeit eines Verkehrsraumes als ausgeschlossen betrachtet werden.[101]

 

Rz. 58

So findet auf den Straßen innerhalb eines Klinikgeländes trotz Umzäunung und Zugangskontrolle öffentlicher Verkehr statt, wenn das Klinikgelände auch von Besuchern von Patienten mit Kfz benutzt werden kann, wenn es somit einem nicht näher bestimmbaren Personenkreis zur Benutzung offen steht.[102] Auch soweit ein Parkplatz im Eigentum des Betreibers eines Einkaufszentrums steht, findet auf ihm öffentlicher Verkehr statt und sind die Parteien Verkehrsteilnehmer i.S.d. StVO.[103] In einem öffentlichen Parkhaus gilt die StVO.[104] Ein Hofgrundstück, das lediglich durch Hausbewohner und ihre Besucher für Parkzwecke benutzt wird, ist (noch) kein öffentlicher Verkehrsraum i.S.d. Straßenverkehrsrechts.[105] Ein Hinterhofparkplatz, der Kunden mehrerer ansässiger Firmen sowie den Anwohnern ohne Begrenzung auf einen bestimmten Personenkreis offen steht, ist öffentlicher Verkehrsgrund i.S.d. Straßenverkehrsrechts.[106]

Eine gute Zusammenstellung mit Beispielen aus der Rechtsprechung, differenziert nach öffentlichen und nicht öffentlichen Wegen, gibt Rebler, DAR 2005, 66 f.

[96] Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn 6, Rebler DAR 2005, 65, 66; Knöpper, zfs 2006, 11.
[97] Vgl. insgesamt Knöpper, zfs 2006, 11, 13 m.w.N.; OLG Celle zfs 1996, 312; OLG Stuttgart VRS 57, 418.
[98] BGHSt 16, 7 ff., OLG Düsseldorf VRS 82, 123; Rebler, DAR 2005, 65, 66.
[99] Knöpper, zfs 2006, 11 ff.
[100] BGH, Beschl. v. 30.1.2013 – 4 StR 527/12, zfs 2013, 528. Es ging um vorsätzliches Fahren ohne FE; vorsätzliche Trunkenheit im Verkehr, § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG; § 2 Abs. 1 StVG; § 316 Abs. 1 StGB.
[101] OLG Frankfurt a.M. VersR 1974, 580, 581; LG Dresden NZV 1999, 221.
[102] LG Dresden NZV 1999, 221.
[103] ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge