A. Allgemeines
I. Sinn und Zweck
Rz. 1
Allein der Zeitablauf kann unabhängig vom Parteiwillen kraft Gesetzes die Rechtslage verändern, und zwar
▪ | zum einen zur Sicherung des Rechtsverkehrs, |
▪ | zum anderen im öffentlichen Interesse an einer beschleunigten Abwicklung von Rechtsverhältnissen. |
1. Schuldnerschutz
Rz. 2
Die Geltendmachung der Verjährung ist vor allem ein Recht des Schuldners, das aus dem Verhalten des Gläubigers erwächst. Werden Ansprüche jahrelang nicht verfolgt, ist der Schuldner vor ihrer Durchsetzung zu schützen, weil sie vermutlich nicht oder nicht mehr gerechtfertigt sind.[1] Bezüglich der Frage eines Forderungsüberganges und der Höhe der Ansprüche ist ein Schuldner häufig nicht schutzwürdig.[2]
Rz. 3
Beruft sich der Leistungsverpflichtete auf Verjährung, kann dieses zwar im Einzelfall bedeuten, dass der Anspruchsberechtigte um sein unzweifelhaft gutes Recht gebracht wird. Das muss jedoch hingenommen werden, da es Sache des Berechtigten gewesen wäre, seinen Anspruch rechtzeitig vor Ablauf der Verjährung (z.B. durch eine Feststellungsklage; dazu Rdn 626 ff.) zu sichern.[3] Der Verjährungseinwand seitens des Schuldners (Schädigers) ist nicht bereits deshalb rechtsmissbräuchlich, weil die Verjährung den Verletzten besonders hart trifft.[4] Die Berufung auf die Verjährung ist – für sich betrachtet – weder amoralisch noch anstößig, sondern rechtlich seit über 100 Jahren verbrieft und daher nur im Einzel- und Ausnahmefall unzulässig oder als treuwidrig zu beanstanden.[5]
Rz. 4
Der BGH[6] führt aus:
Zitat
Die Verjährung beruht auf den Gedanken des Schuldnerschutzes, des Rechtsfriedens[7] und der Rechtssicherheit.
2. Interessenabwägung
Rz. 5
In der Begründung zum Schuldrechtsmodernisierungsgesetz verdeutlicht der Gesetzgeber die Interessenabwägung zwischen Schuldner und Gläubiger bei der Verjährung.[8]
a) Gläubiger
Rz. 6
Dem Gläubiger eines Anspruches soll eine "faire Chance"[9] eröffnet werden, seinen Anspruch geltend zu machen und durchzusetzen. Dazu muss er ausreichend Gelegenheit haben, Bestand und Berechtigung seiner Forderung zu erkennen und zu prüfen, Beweismittel zu sammeln und notfalls die gerichtliche Klärung herbeizuführen. Sein Wissen um mögliche Ansprüche ist nicht grenzenlos schutzwürdig, so dass er auch unabhängig von seiner Kenntnis die Verjährung seiner Forderungen hinnehmen muss.[10]
b) Schuldner
Rz. 7
Verjährungsrecht ist vor allem ein Anwendungsfall des Schuldnerschutzes.[11]
Rz. 8
Der Schuldner soll vor Nachteilen geschützt werden, die der Zeitablauf u.a. auch für die Abwehr unbegründeter Ansprüche mit sich bringt (Beweisnot durch Verlust von Beweismitteln, insbesondere Belegen; aber auch personale Verschlechterung, weil Zeugen nicht mehr namhaft gemacht werden können oder ihre Erinnerung schwindet).
Rz. 9
Als schützenswert sieht der Gesetzgeber ausdrücklich auch das Vertrauen des Schuldners darauf, dass vom Gläubiger eine Forderung nicht mehr geltend gemacht wird und er dementsprechend disponiert, an, ferner den Umstand, dass der Schuldner mit Blick auf das fehlende Verfolgen von Ansprüchen seinerseits Regressansprüche (beispielsweise Gesamtschuldnerausgleich) nicht mehr durchsetzen kann (u.a. wegen anderweitigem Verjährungseinwand, aufgrund von Beweisschwierigkeiten, wegen fehlender finanzieller Leistungskraft).[12]
3. Rechtssicherheit
Rz. 10
Motiv des Zusammenspiels von Rechtsverlust (Beeinträchtigung von Durchsetzbarkei...
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