Rz. 22

Abweichend von der übrigen Haftpflichtversicherung besteht in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung nach § 115 Abs. 1 VVG ein eigener direkter Anspruch des geschädigten Dritten gegen den Versicherer, der als Gesamtschuldner neben die anderen in das Versicherungsverhältnis einbezogenen Anspruchsgegner tritt (§ 115 Abs. 1 S. 4 VVG). Diese Regelung hat der Gesetzgeber im Zuge der Reform des Versicherungsvertragsrechts in das VVG (siehe dazu Rdn 3) aufgenommen; sie hat ihren Vorgänger im früheren § 3 Nr. 2 PflVG a.F.[17]

 

Rz. 23

Nach dem Gesetzeswortlaut kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt. Daneben erfasst die Vorschrift auch die Insolvenz des Versicherungsnehmers und die Fallgestaltung, dass der Aufenthalt des Versicherungsnehmers unbekannt ist. Die im Gesetzentwurf geäußerte Absicht, den Direktanspruch auf sämtliche Pflichtversicherungen auszudehnen, wurde nicht umgesetzt. Zu den rechtspolitischen Erwägungen vgl. die amtliche Begründung.[18]

 

Rz. 24

Nach dem Wortlaut des § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann der Dritte seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer nach dem Pflichtversicherungsgesetz bestehenden Versicherungspflicht handelt. Mit der Direktklage muss der Geschädigte ("Dritte") folglich einen Schadensersatzanspruch geltend machen, der im Rahmen der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung vom Versicherer gedeckt werden muss. Die Vorschrift begründet wie § 3 Nr. 1 PflVG a.F. einen Schadensersatzanspruch, der überwiegend deliktsähnlicher, quasi-deliktischer Natur ist.[19] Allerdings knüpft die Haftung an den Bestand eines Versicherungsverhältnisses an. Auch wird die Höhe der Haftung durch die jeweilige Haftungssumme bzw. die Mindestdeckung (Nr. 4, 5) bestimmt.

 

Rz. 25

Im Rahmen der Kraftfahrzeug-Haftpflicht setzt die Direktklage das Bestehen eines Schadensersatzanspruchs des Geschädigten voraus, der im Rahmen der Kraftfahrzeug-Haftpflicht gedeckt sein muss. Insoweit ist der Halter eines Kraftfahrzeugs mit regelmäßigem Standort im Inland nach näherer Maßgabe des § 1 PflVG zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet, welche die Deckung der durch den Gebrauch des Fahrzeuges verursachten Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden auf öffentlichen Wegen oder Plätzen (§ 1 StVG) umfasst. Der Begriff des Gebrauchs schließt den Betrieb des Kraftfahrzeugs (§ 7 StVG) ein, geht aber auch darüber hinaus. Bei der Kraftfahrzeug-Haftpflicht ist das Interesse versichert, das der Versicherte daran hat, "durch den Gebrauch (...) des Fahrzeugs" nicht mit Haftpflichtansprüchen belastet zu werden, gleich, ob diese auf § 7 StVG, den §§ 823 ff. BGB oder anderen Haftungsnormen beruhen.[20] An den Gebrauch des Fahrzeugs knüpfen die Allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrzeug-Versicherung (AKB 2015) an, nach denen zum Gebrauch des Fahrzeugs "neben dem Fahren z.B. das Ein- und Aussteigen sowie das Be- und Entladen (gehört)" (vgl.A.1.1.1 AKB 2015).

 

Rz. 26

Zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer besteht ein Gesamtschuldverhältnis (vgl. § 115 Abs. 1 S. 4 VVG), auf das nach näherer Maßgabe von § 116 VVG grundsätzlich die Regeln der §§ 421 ff. BGB Anwendung finden, soweit nicht die Bestimmungen des VVG bzw. des PflVG Sonderregelungen enthalten.[21] Zum Gesamtschuldnerausgleich nach gemeinschaftlicher Störerhaftung für die Kosten der Beseitigung einer Ölspur auf einer Gemeindestraße in Niedersachsen durch die Feuerwehr.[22] Zum Direktanspruch der Bundesrepublik Deutschland gegen eine Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung wegen einer Fahrbahnverschmutzung auf einer Bundesautobahn, insbesondere zur Ermittlung der ersatzfähigen Reinigungskosten wird auf die höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen.[23]

 

Rz. 27

Das Gesamtschuldverhältnis besteht auch innerhalb des so genannten Verweisungsprivilegs. Insoweit bleibt nach § 117 Abs. 1 VVG die Verpflichtung des Versicherers auch in dem Falle "in Ansehung des Dritten" (Geschädigter) für den Fall bestehen, dass der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung dem Versicherungsnehmer gegenüber ganz oder teilweise frei ist. Lediglich soweit der Dritte Ersatz seines Schadens von einem anderen Schadensversicherer oder von einem Sozialversicherungsträger erlangen kann, ist der Versicherer ausweislich des § 117 Abs. 3 S. 2 VVG leistungsfrei. Dies ist entspricht der früheren Rechtslage (§ 3 Nr. 4 bis 6 PflVG i.V.m. § 158c Abs. 4 VVG a.F.).

 

Rz. 28

Hiernach ist der Schutz des geschädigten Dritten nicht mehr erforderlich, wenn er den durch den Schadensersatzanspruch gedeckten Bedarf von einem anderen Kollektiv (z.B. SVT) erlangen kann. Zwar wird damit auch der Versicherungsnehmer von seiner Haftung freigestellt bzw. ("soweit") teilweise freigestellt. Entscheidend ist aber, da...

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