Rz. 41

Das Berufungsgericht verneinte einen Schmerzensgeldanspruch der Klägerin gegen die Beklagten gemäß §§ 7 Abs. 1; 11 S. 2 StVG, § 115 Abs. 1 VVG. Zwar habe sich der Unfall beim Betrieb des Fahrzeugs der Beklagten zu 1 ereignet, doch habe die Klägerin ein Verschulden der Beklagten zu 1 am Zustandekommen des Unfalls nicht bewiesen. Das von der Klägerin angebotene unfallanalytische Sachverständigengutachten scheide als Beweismittel aus, weil die notwendigen ausreichend konkreten Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten für die Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht gegeben seien. Zwar könnten die Beklagten auch nicht den Unabwendbarkeitsbeweis führen, doch treffe die Klägerin ein überwiegendes Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalls. Sie habe in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquert, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Das Verschulden der Klägerin überwiege dermaßen, dass die Betriebsgefahr dahinter zurücktrete.

 

Rz. 42

Das Berufungsurteil hielt der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

 

Rz. 43

Im Ansatz ging das Berufungsgericht allerdings zutreffend davon aus, dass die Beklagten auch ohne den Beweis eines Verschuldens der Beklagten zu 1 grundsätzlich aufgrund der Betriebsgefahr des Fahrzeuges für den unfallbedingten Schaden gemäß §§ 7 Abs. 1; 11 S. 2 StVG, § 115 Abs. 1 VVG einzustehen haben, weil sie nicht den Beweis der Verursachung durch höhere Gewalt gemäß § 7 Abs. 2 StVG führen können.

 

Rz. 44

Das Berufungsurteil konnte jedoch keinen Bestand haben, soweit es die Haftung der Beklagten wegen des überwiegenden Verschuldens der Klägerin verneinte. Da die Klägerin weder Halterin noch Führerin eines beteiligten Fahrzeuges war, kam eine Anspruchskürzung nach den §§ 17, 18 StVG nicht in Betracht. Die Beklagten zu 1 und 2 hafteten der Klägerin grundsätzlich als Gesamtschuldner in vollem Umfang. Die Gefährdungshaftung kann allerdings im Rahmen der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB entfallen, wenn die im Vordergrund stehende Schadensursache ein grob verkehrswidriges Verhalten des Geschädigten darstellt (st. Rspr., vgl. Senatsurt. v. 21.12.1955 – VI ZR 63/55, VersR 1956, 238 f.; v. 12.10.1965 – VI ZR 81/64, VersR 1966, 39 f.; v. 18.3.1969 – VI ZR 242/67, VersR 1969, 571, 572 und v. 13.2.1990 – VI ZR 128/89, VersR 1990, 535, 536). Die Abwägung nach § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB setzt jedoch stets die Feststellung eines haftungsbegründenden Tatbestandes auf der Seite des Geschädigten voraus. Die für die Abwägung maßgebenden Umstände müssen feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen und für die Entstehung des Schadens ursächlich geworden sein (vgl. Senatsurt. v. 15.11.1960 – VI ZR 30/60, VersR 1961, 249, 250; v. 8.1.1963 – VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; v. 29.11.1977 – VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 185; v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94, VersR 1995, 357, 358 und v. 21.11.2006 – VI ZR 115/05, VersR 2007, 263 Rn 15 ff.; BGH, Urt. v. 20.2.2013 – VIII ZR 339/11, NJW 2013, 2018 Rn 34). Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben außer Betracht zu bleiben (vgl. Senatsurt. v. 20.3.2012 – VI ZR 3/11, VersR 2012, 865 Rn 12). Für die Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB ist mithin nur das Verhalten der Klägerin maßgebend, das sich erwiesenermaßen als Gefahrenmoment in dem Unfall ursächlich niedergeschlagen hat (vgl. Senatsurt. v. 10.1.1995 – VI ZR 247/94 a.a.O.).

 

Rz. 45

Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht annehmen, das Verschulden der Klägerin überwiege gegenüber der nicht ausgeräumten Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten dermaßen, dass die Betriebsgefahr hinter dem Verschulden der Klägerin zurücktrete. Mangels ausreichender Feststellungen zum Unfallhergang ergab sich ein derart überwiegendes Mitverschulden der Klägerin am Zustandekommen des Unfalls nicht bereits daraus, dass diese in erheblich alkoholisiertem Zustand unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StVO die Straße überquerte, ohne auf den Fahrzeugverkehr zu achten. Insoweit erwies sich das Berufungsurteil als widersprüchlich zu der Begründung, mit der das Berufungsgericht die Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hatte. Dazu hieß es in dem angefochtenen Urteil, dass sich weder aus der Ermittlungsakte noch aus der Aussage des Zeugen M. oder der Anhörung der Parteien konkrete Anknüpfungstatsachen, insbesondere Entfernungen, Abstände, Endlagen und Geschwindigkeiten entnehmen ließen, die ausreichten, um einen Sachverständigen mit der Erstellung eines unfallanalytischen Gutachtens über den Hergang des Unfalls zu beauftragen. Mithin stand für das Berufungsgericht weder fest, welche Wegstrecke die Klägerin auf der Fahrbahn bis zum Erreichen des Kollisionsorts zurückgelegt hatte, noch dass sie für die Beklagte zu...

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