Rz. 61

Nach § 309 Nr. 4 BGB ist eine Vertragsbedingung unwirksam, durch die der Verwender von der gesetzlichen Obliegenheit freigestellt wird, den anderen Vertragsteil zu mahnen oder ihm eine Frist für die Leistung oder Nacherfüllung zu setzen. Damit erstreckt sich der Anwendungsbereich der Vorschrift auf zentrale Bereiche des Schuldrechts, wie etwa den Schadensersatz aufgrund eines Verzugs des Schuldners nach den §§ 280 Abs. 2, 286 BGB, Schadensersatz statt der Leistung nach § 281 BGB oder das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 BGB, die allesamt voraussetzen, dass der Anspruchssteller dem Anspruchsgegner zuvor eine Frist zur Leistung oder Nacherfüllung gesetzt hat.[122]

 

Rz. 62

Inhaltlich wird durch § 309 Nr. 4 BGB dem Verwender die Einflussnahme auf den Eintritt der Voraussetzungen des Verzuges und von Schadensersatz- und Rücktrittsvorschriften entzogen, sofern diese von einer Mahnung des Vertragspartners oder von der Setzung einer Frist abhängig sind.[123] Unberührt bleiben allerdings die gesetzlich geregelten Ausnahmen vom Erfordernis einer Mahnung oder einer Fristsetzung.[124]

 

Rz. 63

Zweck der Vorschrift ist es, den Vertragspartner vor vertragsbeendenden Maßnahmen des Verwenders zu schützen, ohne dass dieser an die gesetzlichen Schutzmechanismen des Leistungsstörungsrechtes gebunden wäre. Diese sehen vor, dass Schadensersatz- oder Rücktrittsansprüche zugunsten des Gläubigers grundsätzlich erst dann entstehen, wenn dieser den Schuldner zur vertragsgemäßen Leistung aufgefordert (Mahnung) und ihm eine entsprechende Leistungsfrist gesetzt (Fristsetzung) hat. Durch § 309 Nr. 4 BGB soll verhindert werden, dass der Verwender sogleich Schadensersatz oder die Zahlung einer Vertragsstrafe von seinem Vertragspartner verlangen kann, ohne diese Voraussetzungen zu erfüllen.[125]

 

Rz. 64

Eine Änderung ergibt sich im Vergleich zu § 11 Nr. 4 AGBG insoweit, als der Begriff der Nachfrist durch den Gesetzgeber vermieden wird und stattdessen von einer Frist zur Leistung oder Nacherfüllung die Rede ist. Diese Veränderung des Wortlauts der Norm beruht darauf, dass das Leistungsstörungsrecht des BGB seit der Neuregelung durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz eine Nachfrist (etwa i.S.d. § 326 BGB a.F.) nicht mehr kennt.[126] Bei der Änderung des § 309 Nr. 4 BGB handelt es sich folglich nicht um eine inhaltliche Neuregelung der Unwirksamkeit einer Fristsetzung, sondern um eine Anpassung des Wortlauts an Veränderungen in einem anderen Regelungsbereich des Schuldrechts.[127]

 

Rz. 65

§ 309 Nr. 4 BGB ist nicht nur für die Frage anwendbar, ob der Verwender das Erfordernis einer Mahnung oder Fristsetzung ganz allgemein ausschließen darf, sondern ist auch dann anwendbar, wenn der Verwender eine gesetzlich vorgeschriebene Frist verkürzt.[128] Denn die Vorschrift will generell verhindern, dass der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen in die den Schuldner schützenden, gesetzlich bestimmten Fristen oder Anspruchsvoraussetzungen eingreifen kann. Aus demselben Grund ist es dem Verwender auch verwehrt, durch Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ohne Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen diejenigen Rechtsfolgen herbeizuführen, die nur bei Einhaltung einer Frist oder Vorliegen einer Mahnung eintreten würden (sog. konkludenter Verzicht).[129]

 

Rz. 66

Kaufmännischer Geschäftsverkehr: Auch im kaufmännischen Geschäftsverkehr kann auf das Erfordernis einer Mahnung grundsätzlich nicht verzichtet werden.[130] Soweit § 309 Nr. 4 BGB die Setzung einer Frist zur Leistung oder Nacherfüllung verlangt, sind diese Erfordernisse über § 307 Abs. 1 S. 1 BGB eingeschränkt auch gegenüber Unternehmern einzuhalten, da auch diese ein schützenswertes Interesse daran haben, vor dem Eintritt der weitreichenden Rechtsfolgen eine letzte Möglichkeit zur Erfüllung zu erhalten.[131]

[122] LG Hannover, Urt. v. 23.6.2010 – 10 O 64/07 (unzulässige Klausel in Ankaufverträgen von Kfz-Händlern – Gebrauchtwagenhandel); LG Dortmund, Urt. v. 15.5. 2009 – 8 O 400/08 (zur Unwirksamkeit des Rechts zur Stornierung eines Fluges ohne vorhergehende Mahnung oder Fristsetzung); LG München I NJOZ 2009, 4477, 4483 (Reiseportal im Internet); Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 22; MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 2; NK-BGB/Kollmann, § 309 Rn 5.
[123] MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 2; Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 22.
[124] MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 9; Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 22.
[125] MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 2.
[126] BT-Drucks 14/6040, S. 155; MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 1; AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 309 Rn 6.
[127] MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 1; AnwK-Schuldrecht/Hennrichs, § 309 Rn 6.
[128] BGH NJW 1995, 1488; Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 22; NK-BGB/Kollmann, § 309 Rn 61.
[129] BGH NJW 1983, 1320, 1322; BGH NJW 1985, 320, 324; BGHZ 102, 41, 45 = BGH NJW 1988, 258; MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 7; NK-BGB/Kollmann, § 309 Rn 61.
[130] Palandt/Grüneberg, § 309 Rn 23; Schäfer in Ulmer/Brandner/Hensen, § 309 Nr. 4 Rn 11; a.A. MüKo/Wurmnest, § 309 Nr. 4 Rn 12 ff.
[131] BGHZ 110, 97; BG...

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