Rz. 479

Weitere Voraussetzung des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist, dass die Benachteiligung unangemessen sein muss. Grundsätzlich soll der von Verwender und Vertragspartner abgeschlossene Vertrag wesensmäßig einen Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien herstellen. Deshalb setzt die Beurteilung der Unangemessenheit einer Benachteiligung voraus, dass das Interesse des Verwenders an der Aufrechterhaltung der benachteiligenden Vertragsklausel mit dem Interesse des Vertragspartners abgewogen und vor dem Hintergrund des geschlossenen Vertrages ausgelegt und bewertet wird.[1067] Die Bezugnahme auf die Gebote von Treu und Glauben stellt dabei sicher, dass dieser Interessenausgleich fair und treuegerecht durchzuführen ist.[1068] Dementsprechend sind die Interessen beider Vertragsparteien nicht nur gesondert jede für sich zu betrachten, sondern auch die durch die vertragliche Verknüpfung der Interessen entstehende innere Beziehung zueinander.[1069]

 

Rz. 480

Das Ziel eines treuegerechten Interessenausgleichs führt dazu, dass der Verwender bei der Abfassung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ausschließlich seine eigenen Interessen verfolgen darf, sondern auch mögliche Interessen des Vertragspartners antizipieren muss, die typischerweise mit dem betroffenen Rechtsgeschäft einhergehen. Treuwidrig handelt der Verwender, wenn er die Möglichkeit zum einseitigen Stellen seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu ausnutzt, einseitig und rücksichtslos seine Interessen zu verfolgen.[1070]

 

Rz. 481

Im Rahmen der Interessenabwägung erlangt deshalb der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung.[1071] Dieser wird durch die obergerichtliche Rechtsprechung über die zivilrechtlichen Generalklauseln mit dem Ziel angewandt, ein gestörtes Vertragsverhältnis wieder auszugleichen.[1072] Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG, der § 307 Abs. 1 S. 1 BGB im Bereich der Verbraucherverträge überlagert, bringt die Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für Verbraucherverträge noch deutlicher zum Ausdruck, indem er auf ein Missverhältnis der vertraglichen Pflichten des Verwenders und des Verbrauchers abstellt. Eine Benachteiligung des Vertragspartners durch den Verwender muss demnach erforderlich und angemessen sein (Verhältnismäßigkeit i.e.S.), um nach den Kriterien des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB wirksam sein zu können.

 

Rz. 482

Erforderlich ist eine Benachteiligung i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB, wenn dem Verwender keine milderen Mittel zur Verfügung stehen, sein spezifisches Interesse durchzusetzen. Dies ist regelmäßig dann nicht der Fall, wenn ihm andere, weniger einschneidende Gestaltungsmöglichkeiten für die Erstellung seiner Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Verfügung stehen, um den gleichen vertraglichen Zweck zu erreichen. Denn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt von dem Verwender, dass er durch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen in die Rechte des Vertragspartners so geringfügig und schonend wie möglich eingreift.

 

Rz. 483

Die Beurteilung der Angemessenheit setzt methodisch mehrere Ebenen der Interessenabwägung voraus. Auf der tatsächlichen Ebene sind zunächst die Situation und die Interessen des Verwenders und des Vertragspartners festzustellen.[1073]

 

Rz. 484

Typisches Interesse des Verwenders ist die Rationalisierung gleichgelagerter Vertragschlüsse. Das Rationalisierungsinteresse ist grundsätzlich als legitim anzuerkennen, da die Erleichterung, Vereinfachung, Gleichschaltung und Kostenersparnis gerade der Grund sind, warum sich der Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen bedient.[1074] Deshalb können generelle Regelungen zur Rationalisierung der Vertragsabwicklung gerechtfertigt sein, auch wenn sie dem Vertragspartner lästig sind.[1075] Die grundsätzliche Zulässigkeit entsprechender Vertragsbedingungen kommt auch darin zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber die Grenzen der Rationalisierung in den speziellen Klauselverboten der §§ 308 Nr. 5 (siehe Rdn 382 ff.), 308 Nr. 6 (siehe Rdn 402 ff.), 309 Nr. 3 (siehe Rdn 48 ff.), 309 Nr. 5 (siehe Rdn 67 ff.), 309 Nr. 13 BGB (siehe Rdn 243 ff.) geregelt hat. Ist die Vertragsbedingung für den Vertragspartner nicht lediglich lästig, sondern geht mit ihr eine Benachteiligung einher, so ist das Rationalisierungsinteresse des Verwenders mit dem Interesse des Vertragspartners abzuwägen.[1076] Bei dieser Abwägung ist zu berücksichtigen, dass es keine Rationalisierung um jeden Preis geben darf, so dass das Rationalisierungsinteresse des Verwenders jedenfalls dann zurücktreten muss, wenn durch die Vertragsbedingung schwerwiegende Interessen des Vertragspartners beeinträchtigt werden.[1077] Darüber hinaus darf der Verwender aus Rationalisierungsgesichtspunkten typische Interessenunterschiede seiner Vertragspartner nicht unberücksichtigt lassen.[1078] Weitere typische Verwenderinteressen können ökonomische, pädagogische oder wissenschaftliche Gesichtspunkte sein.[1079]

 

Rz. 485

Typische Interessen des Vertragspartners können aus vermögensrechtlicher Sicht der Schutz der ...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge