Rz. 319

Den Regelungen der Nachfrist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist immer das Bestreben immanent, die gesetzlich vorgesehene Dauer der Nachfrist zugunsten des Verwenders auf das gerade noch zulässige Maß auszudehnen. Dabei wird für die Gestaltung der Geschäftsbedingungen die untere Grenze durch eine etwaig vorhandene gesetzliche Regelung gezogen, da hierin eine angemessene Regelung der Nachfrist für die der gesetzlichen Regelung unterfallende Vielzahl von Sachverhalten zu sehen ist und es aufgrund der Folgen einer unwirksamen Geschäftsbedingung – nämlich Geltung der gesetzlichen Regelung – wenig Sinn hat, auf eben diese gesetzliche Bestimmung abzustellen.[668] Ziel des Verwenders muss es daher sein, die im Allgemeinen angemessene gesetzliche Bestimmung unter Berücksichtigung der konkreten Umstände der jeweiligen Vertrags- und Abschlusssituation auf ein eben noch angemessenes Maß zu erweitern. Dementsprechend muss der Verwender bei der Erstellung seiner AGB die typisierten Interessen berücksichtigen, die beim Durchschnittskunden in der typischen Situation des Vertragschlusses auftreten können.[669] Unter Berücksichtigung dieser typisierten Interessen kann sich aufgrund des jeweiligen Vertragstyps und der jeweiligen Abschlusssituation eine deutlich längere Nachfrist als angemessen herausstellen, als dies die gesetzliche Bestimmung vorsieht.[670] Allerdings darf sich der Verwender bei der Bestimmung der Dauer der Nachfrist nicht ausschließlich an besonderen, zu seinen Gunsten sprechenden Umständen orientieren, etwa lange Liefer- und Leistungsfristen oder im Einzelfall einen besonders komplexen Leistungsinhalt, sondern muss sich am Durchschnittsvorgang für die von ihm durch AGB zu regelnden Vertragsbeziehungen orientieren.[671]

 

Rz. 320

Deshalb sind zur Beurteilung, ob eine Nachfrist unangemessen ist, zunächst die beteiligten Interessen des Verwenders und des Durchschnittskunden zu bewerten und gegeneinander abzuwägen.[672] Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die §§ 281 Abs. 1 S. 1, 323 Abs. 1 BGB dem Verwender nicht die Gelegenheit geben sollen, die Erbringung der vertragsgemäßen Leistung erst in die Wege zu leiten, sondern ihm lediglich ermöglicht werden soll, das Leistungshindernis zu beseitigen und die schon begonnene Erfüllung zu beenden.[673] Dies führt dazu, dass die obere Grenze der Gestaltbarkeit einer Nachfrist in AGB durch die vertraglich vereinbarte Lieferfrist gezogen wird, die jedoch i.d.R. deutlich unterschritten werden muss.[674] Dabei sind individuell vereinbarte Leistungsfristen grundsätzlich eher dazu geeignet, eine längere Nachfrist zu rechtfertigen, als eine Nachfrist, die durch eine Allgemeine Geschäftsbedingung in das Vertragsverhältnis einbezogen worden ist, weil in letzterem Fall der Vertragspartner keine Möglichkeit der gestaltenden Einflussnahme auf den Inhalt der Leistungsfrist hatte.[675] Eine Nachfrist ist jedenfalls dann unangemessen, wenn ihre Dauer dem Verwender ohne sachlichen Grund die vollständige Leistungserbringung ermöglichen würde.[676]

 

Rz. 321

Für die Bestimmung der angemessenen Nachfrist können insbesondere folgende typische Interessen des Verwenders berücksichtigt werden:

die übliche Zeitspanne bis zur Vollendung der Leistung einschließlich der Anlieferung,[677]
der erforderliche Zeitraum für die Beschaffung von Vorprodukten oder Vorlieferungen, wenn diese typischerweise nicht auf Lager sind,[678]
der Mehraufwand für Spezialanfertigungen,[679]
branchenübliche Besonderheiten,[680]
die Einheitlichkeit der Nachfristsetzung in AGB.[681]
 

Rz. 322

Demgegenüber können folgende typische Interessen des Durchschnittskunden für die Ermittlung einer angemessenen Nachfrist zu beachten sein:

das Interesse an baldiger Leistung/Lieferung,[682]
die zeitnahe Lösungsmöglichkeit bei Leistungsverzögerungen durch den Verwender.
 

Rz. 323

Insoweit haben sich auch für die Angemessenheit der Nachfrist in Allgemeinen Geschäftsbedingungen branchenübliche Grundsätze herausgebildet, die auch in der Rechtsprechung ihren Niederschlag gefunden haben:

Möbelhandel: Eine undifferenzierte Nachfrist von vier Wochen ist grundsätzlich zu lang, da dies auch die Fälle erfasst, in denen die Ware beim Verwender vorrätig und damit sofort lieferbar ist.[683]
Bau (Fenster/Türen/Fassade): Eine Nachfrist von sechs Wochen ist zu lang.[684]
Lieferung einer Zaunanlage: Eine Nachfrist von vier Wochen ist zulässig.[685]
Verbrauchergeschäfte: Bei üblichen Rechtsgeschäften mit Verbrauchern ist grundsätzlich eine Nachfrist von vierzehn Tagen angemessen.[686] Soweit die Lieferung jedoch auf eine nicht vorrätige Ware oder unübliche Leistung gerichtet ist, wird eine längere Nachfrist von bis zu vier Wochen befürwortet.[687]
Großprojekte: Bei Großprojekten, die den üblichen Leistungsumfang übersteigen, können je nach dem Umfang auch deutlich längere Nachfristen angemessen sein.[688]
 

Rz. 324

Wie bei § 308 Nr. 1 BGB ist für die Frage, ob eine Nachfrist hinreichend bestimmt ist, auf die Umstände des Einz...

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