Rz. 338

Bis zum 31.12.2001 war es vollkommen unumstritten, dass Leistungsstörungen, die aus der Sphäre des Verwenders stammen, diesen nicht zu einer Lösung vom Vertrag berechtigen können, da er sich sonst durch das aus seiner Sphäre stammende Leistungshindernis der Haftung entziehen könnte.[723] Dies beruhte im Wesentlichen auf der vor der Schuldrechtsreform im Jahr 2002 nach § 11 Nr. 8 lit. b AGBG geltenden Rechtslage, nach der ein Haftungsausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Verzug oder vom Verwender zu vertretender Unmöglichkeit unzulässig war. Diese gesetzliche Regelung wurde sodann in der Weise verallgemeinert, dass der Verwender sich bei selbst verursachten oder aus seiner Sphäre stammenden Leistungshindernissen nicht vom Vertrag lösen können sollte.[724]

 

Rz. 339

Da nach der Änderung des Schuldrechts im Jahr 2002 – insbesondere der Streichung des § 279 BGB a.F. und der Regelung des Beschaffungsrisikos im Zusammenhang mit der Verschuldenshaftung in § 276 Abs. 1 S. 1 BGB – das Verschulden der Nichtleistung nicht mehr zwangsläufig zu einer Garantiehaftung des Verwenders führt, kann nicht mehr ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass der Verwender für jedes Risiko aus seiner Leistungssphäre einstehen muss.[725] So kann der Verwender im Bereich der einfachen Fahrlässigkeit durch seine Geschäftsbedingungen eine Haftungsbegrenzung herbeiführen, sofern sich die Leistungsstörung nicht auf eine wesentliche vertragliche Verpflichtung bezieht. Wenn der Verwender jedoch für einfache Fahrlässigkeit grundsätzlich nicht zu haften braucht, spricht dies dafür, dass er sich zumindest in dem zuvor genannten engen Anwendungsbereich auch von dem Vertrag lösen kann, sofern im jeweiligen Einzelfall ein sachlich gerechtfertigter Grund gegeben ist.[726]

 

Rz. 340

So ist beispielsweise – bei einer wirksamen individualvertraglichen oder formularmäßigen Vereinbarung einer Vorratsschuld[727] – die Vereinbarung eines Lösungsrechts zugunsten des Verwenders dann möglich, wenn der Verwender von seiner Leistungspflicht frei wird, weil der Vorrat erschöpft ist und ihn im Übrigen kein Verschulden trifft.[728]

 

Rz. 341

Beruht das Leistungshindernis auf einer Arbeitskampfmaßnahme, so scheitert die wirksame Verknüpfung dieses Leistungshindernisses mit einem Lösungsrecht des Verwenders immer dann, wenn der Verwender den Arbeitskampf schuldhaft nicht verhindert hat.[729] Auch kurzfristige Leistungsverzögerungen durch Arbeitskampfmaßnahmen berechtigen den Verwender im Regelfall noch nicht, sich von seiner vertraglichen Verpflichtung zur Erbringung der Leistung loszusagen.[730] Ein sachlich gerechtfertigter Grund liegt stattdessen grundsätzlich erst dann vor, wenn durch einen langfristigen Arbeitskampf sowohl der Verwender als auch dessen Durchschnittskunde kein Interesse mehr an dem Leistungsaustausch haben.[731] Teilweise wird auch vertreten, dass auch bei nur einfach fahrlässigem Verschulden des Verwenders bei der Abwehr von Arbeitskämpfen ein Lösungsrecht des Verwenders in Betracht komme.[732] Allerdings ist insoweit bei der Gestaltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zur Vorsicht zu raten, da eine höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesem Problembereich noch nicht vorliegt und aufgrund der Unwirksamkeitsfolgen im Bereich der Klauselgestaltung eher eine konservative Herangehensweise angezeigt ist.

 

Rz. 342

Im Regelfall kein sachlicher Grund ist auch die Erschwernis der Leistungserbringung für den Verwender.[733] So sind Klauseln, die ein Lösungsrecht des Verwenders ausschließlich an die Erhöhung von Preisen knüpfen, wegen Verstoßes gegen § 308 Nr. 3 BGB unzulässig, soweit sie nicht nach § 275 Abs. 1 u. Abs. 2 BGB zu einer "wirtschaftlichen Unmöglichkeit" führen. In diesem Fall besteht der Nachteil des Verwenders jedoch darin, dass er sich nach den §§ 275 Abs. 4, 283, 280 Abs. 1, 281 Abs. 1 S. 2 BGB schadensersatzpflichtig machen kann. Ist während des Leistungszeitraums mit nennenswerten Preissteigerungen zu rechnen, so ist dem Verwender deshalb neben der Einbeziehung seiner AGB ergänzend zu einer individualvertraglichen Preisanpassungsvereinbarung zu raten. In anderen Fällen der erschwerten Leistungserbringung kann die Grenze für ein zulässiges Lösungsrecht des Verwenders der typischen vertraglichen Risikoverteilung entnommen werden.[734] Danach wird eine Lösung des Verwenders immer nur dann sachlich gerechtfertigt sein, wenn der Grund für die Leistungserschwernis aus der Sphäre des Vertragspartners stammt und nicht kurzfristig beseitigt werden kann. Zudem ist zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß der Vertragspartner auf die Leistungserbringung durch den Verwender angewiesen ist,[735] das heißt, inwieweit er kurzfristig in der Lage ist, zu vergleichbaren Konditionen die Leistung eines Dritten zu erlangen. Kommt danach eine formularmäßige Einbeziehung eines Lösungsrechts nicht in Betracht, so ist auch hier zum Abschluss einer Individualvereinbarung zu raten.

 

Rz. 343

Bei der Vereinbarung eines Selbstbelieferungsvorbehalts kommt ein ...

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