Rz. 402

§ 308 Nr. 6 BGB entzieht dem Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen die Möglichkeit, seine Vertragsbedingungen so auszugestalten, dass der Zugang einer Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung fingiert wird.

 

Rz. 403

Damit bezweckt § 308 Nr. 6 BGB, dass der Verwender die Beweislast hinsichtlich des Zugangs besonders bedeutender Erklärungen nicht wirksam auf den Vertragspartner verlagern kann.[915] Eine gegenüber einem anderen abzugebende Willenserklärung wird nach § 130 BGB nämlich erst dann wirksam, wenn sie dem anderen zugeht.[916] Da der Zugang damit positive Voraussetzung für die Wirksamkeit der Willenserklärung ist, trifft die Beweislast hierfür nach den allgemeinen Beweislastregeln den Erklärenden.[917] Könnte der Verwender durch seine Allgemeinen Geschäftsbedingungen den Vertragspartner so stellen, als sei diese Erklärung zugegangen, würde der Vertragspartner nun beweisen müssen, dass ihm die Erklärung nicht zugegangen ist, was ihm praktisch kaum möglich sein wird.

 

Rz. 404

Inhaltlich erfasst § 308 Nr. 6 BGB alle Tatbestände, die an das Verhalten des Verwenders oder den Ablauf einer bestimmten Frist die Fiktion des Zuganges einer Erklärung des Verwenders knüpfen.[918] Dies schließt zum einen Vertragsbedingungen ein, die den Zugang unwiderleglich fingieren, als auch solche Klauseln, die den Zugang lediglich vermuten und dem Vertragspartner die Möglichkeit des Gegenbeweises eröffnen.[919] Denn würde § 308 Nr. 6 BGB ausschließlich auf Fiktionen und unwiderlegbare Vermutungen Anwendung finden, entstünde ein Wertungswiderspruch zu § 309 Nr. 12 lit. b BGB, der mit seinen strengeren wertungsunabhängigen Anforderungen auf die für den Vertragspartner weniger belastende widerlegbare Vermutung Anwendung finden würde.[920] Auch die Fiktion des Zugangszeitpunkts fällt nach überwiegender Ansicht unter § 308 Nr. 6 BGB.[921]

 

Rz. 405

Nicht unter § 308 Nr. 6 BGB fällt es dagegen, wenn der Vertragspartner formularmäßig auf jedweden Zugang verzichtet, da es insoweit nicht mehr auf den Zugang als Wirksamkeitsvoraussetzung ankommt.[922]

 

Rz. 406

Unwirksam sind dagegen nach § 309 Nr. 12 lit. b BGB Abgabe- oder Absendefiktionen, die oftmals mit einer Zugangsfiktion verbunden werden, da die Privilegierung des § 308 Nr. 6 BGB nur den Zugang, nicht aber die Erklärung selbst erfassen soll.[923]

 

Rz. 407

Weitere Anwendungsvoraussetzung des Klauselverbots ist es, dass die Erklärung des Verwenders von besonderer Bedeutung ist. Erfasst werden alle Arten von Erklärungen, auch dann, wenn sie von einem Stellvertreter abgegeben worden sind.[924] Eine besondere Bedeutung ist anzunehmen, wenn die Erklärung für den Vertragspartner mit nachteiligen Rechtsfolgen verbunden ist oder verbunden sein kann.[925] Dagegen können Erklärungen, die sich für den Vertragspartner rechtlich positiv oder neutral auswirken, durchaus Gegenstand einer Zugangsfiktion sein, weil es in diesen Fällen an einer Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners fehlt.[926] Zudem wird vertreten, dass dies auch für Erklärungen mit geringfügigen rechtlichen Nachteilen für den Vertragspartner gelten soll.[927] Dies wird allerdings davon abhängig zu machen sein, ob unter Berücksichtigung des rechtlichen Nachteils die im Interesse des Verwenders liegende erleichterte Vertragsabwicklung vorzugswürdig erscheint.

 

Rz. 408

Zulässig ist es nach überwiegender Auffassung auch, wenn der Verwender in seinen Geschäftsbedingungen vorsieht, dass die Zugangsfiktion für alle unbedeutenden Erklärungen gelten solle, auch wenn er dadurch das Beurteilungsrisiko auf seinen Vertragspartner verlagert.[928] Unter Berücksichtigung des Transparenzgebots dürften jedoch solche Geschäftsbedingungen unzulässig sein, bei denen der Vertragspartner die Reichweite der vertraglichen Regelung nicht zuverlässig einschätzen kann.

 

Rz. 409

Eine besondere Bedeutung wird vor allem folgenden Erklärungen des Verwenders zugeschrieben:[929]

Mahnungen,[930]
Kündigungen,[931]
Rücktrittserklärungen,[932]
Anfechtungserklärungen,[933]
Nachfristsetzungen,[934]
Fristsetzungen,[935]
Beweislastverschiebungen,[936]
Genehmigungserklärungen.[937]
 

Rz. 410

Kaufmännischer Geschäftsverkehr: Im kaufmännischen Geschäftsverkehr findet das Klauselverbot über § 307 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich entsprechende Anwendung, da eine Beweislaständerung auch den Kaufmann unangemessen benachteiligen kann, wenn ihm dadurch faktisch der Beweis des fehlenden Zugangs der Erklärung abgeschnitten wird.[938] Allerdings ist im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen, dass im Handelsverkehr die schnelle Vertragsabwicklung und die Herstellung klarer Verhältnisse im Vordergrund stehen, so dass auch hier die Besonderheiten durch Handelsbräuche entsprechende Berücksichtigung finden müssen.[939]

[915] Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, § 308 Nr. 6 Rn 1; Palandt/Grüneberg, § 308 Rn 35.
[916] MüKo/Wurmnest, § 308 Nr. 6 Rn 1; Wolf/Lindacher/Pfeiffer/Dammann, § 308 Nr. 6 Rn 1; Palandt/Grüneberg, § 308 Rn 35.
[917] NK-BGB/Kollmann, § 308 Rn 144; MüKo/Wur...

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