Rz. 64

Auch auf den Schmerzensgeldanspruch muss sich der Geschädigte ein etwaiges Mitverschulden nach § 254 BGB anrechnen lassen. Keinesfalls ist es jedoch richtig, das angemessene Schmerzensgeld um die im Übrigen mit dem Versicherer ausgehandelte Quote des Mitverschuldens zu kürzen. Der mathematische Kürzungsvorgang erfolgt bei allen anderen Schadensersatzpositionen, jedoch nicht in mathematischer Form beim Schmerzensgeld. Nach der Rechtsprechung des BGH (VersR 1970, 624) ist das Schmerzensgeld unter Berücksichtigung der Haftungsquote zu bestimmen, wobei allerdings das Verschulden nur ein Bemessungsfaktor von vielen ist, die im Rahmen der Doppelfunktion des Schmerzensgeldes Berücksichtigung finden. Aus diesem Grunde kann das Mitverschulden nicht der beherrschende Bemessungsfaktor beim Schmerzensgeld sein.

 

Praxistipp

Gerne wird das Schmerzensgeld vom Haftpflichtversicherer in der Praxis mathematisch entsprechend der ausgehandelten Mitverschuldensquote reduziert. Der Rechtsanwalt sollte auf die oben zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und den Aspekt, wonach das Verschulden nur ein Bemessungsfaktor von vielen im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung ist, verweisen. Er sollte die übrigen Aspekte im Rahmen der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion herausarbeiten und ein quasi "ungerades" Schmerzensgeld leicht nach unten abrunden. Er darf jedoch keinesfalls dabei die rechnerische Quote des Mitverschuldens erreichen, sondern muss immer oberhalb derer bleiben.

 

Rz. 65

Es ist zu beachten, dass Kindern, die das 7. Lebensjahr nicht vollendet haben, ein Mitverschuldensvorwurf überhaupt nicht gemacht werden kann und sich eine Reduzierung des Schmerzensgeldes von vorneherein verbietet (§ 828 Abs. 1 BGB).

 

Rz. 66

Kinder, die noch nicht das 10. Lebensjahr vollendet haben, sind nach § 828 Abs. 2 BGB nicht verantwortlich für Schäden, die bei einem Unfall mit einem Kfz, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zugefügt werden. Der BGH hatte die Gelegenheit, sich im Jahre 2004 zu diesem Haftungsprivileg zu äußern (BGH v. 30.11.2004, Az. VI ZR 353/03 und VI ZR 365/03 = NJW 2005, 354 und 356). In dieser Entscheidung hat der BGH klargestellt, dass dieses Haftungsprivileg in § 828 Abs. 2 BGB nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur dort greifen könne, wo sich eine "typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs realisiert hat". Das bedeutet, dass sich im konkreten Kinderunfall zwischen dem vollendeten 7. Lebensjahr und dem vollendeten 10. Lebensjahr die Notwendigkeit ergibt, den vorliegenden Sachverhalt genau zu untersuchen. Hat sich der Unfall aufgrund einer typischen Überforderungssituation ereignet oder stand die Unachtsamkeit des Kindes in einer einfach gelagerten Verkehrssituation im Vordergrund? Letzteres wird wohl dann anzunehmen sein, wenn das Kind mit einem parkenden Fahrzeug kollidiert, weil es das eigene Gefährt (Skateboard, Inlineskates, Fahrrad etc.) nicht unter Kontrolle hat. Jahnke/Thinesse-Wiehofsky arbeiten sehr sorgfältig die verschiedenen Facetten des Mithaftungseinwandes des Kindes heraus (Jahnke/Thinesse-Wiehofsky, Rn 504 ff.). Beim Unfall mit Beteiligung von Kindern sei auf das Gesamtwerk als unverzichtbares Regulierungshilfsmittel hingewiesen.

 

Rz. 67

Da die Neufassung von § 828 Abs. 2 BGB keinen Unterschied macht, ob das Kind der betroffenen Altersstufe Täter oder Opfer ist, muss es sich auf den eigenen Ersatzanspruch auch kein Mitverschulden an der Schadensverursachung anrechnen lassen (Dahm, NZV 2009, 379).

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