Rz. 35

Als dieses neue Modell publiziert wurde, haben viele Personen aus der Versicherungswirtschaft Alarm geschlagen: Der Vorwurf lautete, wir erhielten nun amerikanische Systeme in Deutschland. Es wurde viel darüber geschrieben und diskutiert, dass die Versichertengemeinschaft sich diese erhöhten Schmerzensgelder nicht leisten kann. Einigkeit herrscht wahrscheinlich darüber, dass die jetzigen Schmerzensgelder zu gering sind (taggenaue Berechnung in der Vergangenheit von 0,50 EUR bis 3,50 EUR am Tag trotz Dauerschmerzen). Die Frage ist nun, ob die Versichertengemeinschaft es sich leisten kann, dass höhere Schmerzensgelder an die Betroffenen ausgezahlt werden.

 

Rz. 36

Wenn man den Dschungel der Tarife innerhalb des Kraftfahrzeughaftpflichtbereiches anschaut und sieht, wie viele unnütze Bonus- und Maluspunkte eingeführt wurden, um Anreize für Versicherte zu schaffen, werden Controller der Versicherungswirtschaft bestätigen, dass hier schon Milliarden versenkt wurden. Wie viele Systeme wurden eingeführt – vom Beamtentarif, über den Garagentarif bis hin zum Hauseigentümertarif?! Schon viele unnötige Tarife wurden geschaffen und permanent wieder vom Markt genommen, weil sie nichts genützt haben. Den Geschädigten, die unter Dauerschmerzen leiden, ein höheres Schmerzensgeld zuzubilligen, sollte von allen als gerecht empfunden werden. Daher haben die Autoren sich die Mühe gemacht, eine Schätzung auf Grundlage der vom GDV veröffentlichten Schadensstatistik für Personenschäden vorzunehmen, und errechnet, dass im statistischen Durchschnitt die Kfz-Haftpflichtprämien um ca. 1 bis 2 EUR monatlich steigen würden, wenn das neue Schmerzensgeldmodell umgesetzt würde. Mit Blick auf die Arzthaftungs- und Privathaftpflichtfälle dürfte die Steigerung wegen des insgesamt sehr viel geringeren Schadensvolumens automatisch sehr viel geringer ausfallen. Wir vertreten die Auffassung, dass 1 bis 2 EUR monatlich mit Sicherheit nicht zu viel sind und sich die Versichertengemeinschaft dies leisten könnte. Eine um 1 bis 2 EUR im Monat höhere Prämie wäre von jedem Kfz-Versicherten zu tragen. Jeder kann morgen selbst Opfer sein. Die Versichertengemeinschaft besteht immer aus Tätern und Opfern. Dies sollte sich jeder überlegen und dankbar sein, dass er trotz 8 Millionen Verletzten im Straßenverkehr gesund nach Hause gekommen ist. Betrachtet man die um 1 bis 2 EUR monatlich höhere Prämie, so ist es unter dem Gesichtspunkt von Art. 1 GG wohl nicht gerecht, wenn ein Schwerstverletzter lediglich mit 0,50 EUR bis 3,50 EUR als Tagessatz abgefunden wird. All diejenigen, die jetzt monieren, dass die Versichertengemeinschaft sich dies nicht leisten kann, sollte einen Perspektivwechsel vornehmen und einen Tag in die Rolle des Schwerstgeschädigten schlüpfen und sich einen Tag in einen Rollstuhl setzen. Spätestens dann müsste jeder merken, dass er falsch argumentiert. Wie häufig trinken wir für 3,50 EUR einen Cappuccino in der Stadt, vielleicht auch zweimal am Tag, und geben so 7,00 EUR aus für ein Getränk, ohne darüber auch nur im Geringsten nachzudenken?

Berücksichtigt man dann noch, dass man auch viel Geld einsparen kann, z.B. bei Schmerzensgeldern bei Bagatellverletzungen, die unberechtigt sind, so kann diese Einsparung den Geschädigten, die wirklich verletzt sind und die einen Dauerschmerz haben, zugutekommen.

Es ist eine Frage der Prioritätensetzung: Will ich Schwerstgeschädigten helfen oder will ich es nicht? Ich glaube, jeder sollte einmal darüber nachdenken, dass wir uns als reiches und "Wohlstandsland" ohne Probleme diesen geringen Mehrbetrag leisten könnten im Interesse der Schwerstverletzten, die schuldlos in eine solche Lage geraten sind und selbst keine Lobby haben.

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