Rz. 6

Die im Jahr 1991 verabschiedete Zweite Führerschein-Richtlinie (91/439) und die im Jahr 2006 verabschiedete Dritte Führerschein-Richtlinie (2006/126) enthalten – gleichlautend – folgenden grundlegenden Passus:

Die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine werden gegenseitig anerkannt.

Das Unionsrecht stellt damit den Grundsatz der gegenseitigen unbefristeten Anerkennung der EU-Führerscheine auf.

 

Rz. 7

Der EuGH hat diesen Grundsatz in seiner Rechtsprechung weiter ausgeformt und dabei verdeutlicht, dass die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine damit "ohne jede Formalität"[6] vorgenommen werden müsse. Die Mitgliedstaaten treffe nämlich eine klare und unbedingte Verpflichtung, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräume, die zu erlassen seien, um dieser Verpflichtung nachzukommen.[7]

 

Rz. 8

Muster 48.1: Feststellung der Inlandsgültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis

 

Muster 48.1: Feststellung der Inlandsgültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis

Verwaltungsgericht

_________________________

Kläger _________________________ ./. Beklagte _________________________

Aktenzeichen: _________________________

wegen: Gültigkeit einer EU-Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland

Namens und im Auftrag des Klägers beantrage ich, es wird festgestellt, dass der Kläger berechtigt ist, aufgrund seiner bestehenden EU-Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland im Straßenverkehr zu führen.

Der Kläger geriet vor ca. zwei Monaten, und zwar am _________________________ in eine polizeiliche Verkehrskontrolle. Dabei zeigte er seine EU-Fahrerlaubnis vor. Der kontrollierende Beamte äußerte Zweifel an der Gültigkeit des Dokuments. Es sei vom EU-Mitgliedstaat _________________________ ausgestellt und weise – aus seiner Sicht unzutreffend – einen dortigen Wohnsitz des Klägers aus. Deshalb werde die zuständige Straßenverkehrsbehörde informiert, die dann eine Aberkennungsentscheidung zu treffen habe. Die Straßenverkehrsbehörde wiederum erklärte, sie sehe keinen Anlass zum Erlass einer Aberkennungsbescheides, da sich die Gültigkeit oder Ungültigkeit der EU-Fahrerlaubnis schon aus dem Gesetz ergebe. Der Kläger habe sich mit dem Erwerb der EU-Fahrerlaubnis auf ein "rechtliches Minenfeld" begeben.

Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Der Kläger begehrt die gerichtliche Feststellung über das "Bestehen eines Rechtsverhältnisses" im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO. Konkret geht es um die öffentlich-rechtliche Berechtigung des Klägers, aufgrund seiner EU-Fahrerlaubnis Kraftfahrzeuge in der Bundesrepublik Deutschland im Straßenverkehr zu führen. Ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung ist ebenfalls gegeben. Der Kläger läuft Gefahr, sich des Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) schuldig zu machen, wenn er seine Rechtsauffassung nicht vor den Strafgerichten durchsetzen kann.

Die Feststellungsklage ist begründet. Der Kläger ist dazu berechtigt, nach Maßgabe seines EU-Führerscheins im Inland Kraftfahrzeuge zu führen. Das Unionsrecht stellt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung der EU-Führerscheine auf. Der EuGH hat diesen Grundsatz in seiner Rechtsprechung weiter ausgeformt und spricht von einer klaren und unbedingten Anerkennungsverpflichtung. Daran sind die Behörden der Bundesrepublik Deutschland gebunden.

 

Rz. 9

Ihren Niederschlag im deutschen Recht hat die weitreichende Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung in § 28 Abs. 1 S. 1 FeV (Wohnsitz des Führerscheininhabers im Inland) und bei § 29 Abs. 1 S. 1 FeV (kein Wohnsitz des Führerscheininhabers im Inland).

 

Rz. 10

 

Beispiel: Anerkennung der EU-Fahrerlaubnis trotz negativer MPU ("Akyüz")

Der A, der in der Vergangenheit mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, begehrt zunächst in Deutschland die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse B. Die medizinisch-psychologische Untersuchung fällt negativ aus, weil Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotential gegeben sind, welche die Fahreignung ausschließt. Daraufhin versagt die deutsche Fahrerlaubnisbehörde die Neuerteilung.

In der Folge begibt sich A in die Tschechische Republik und erwirbt dort die Fahrerlaubnis der Klasse B.

Müssen die deutschen Behörden die ausländische EU-Fahrererlaubnis anerkennen? Der EuGH hat dies bejaht[8] und die bestandskräftige Versagung des Führerscheins in Deutschland nicht als anerkennungsschädlichen "Entzug" gelten lassen. Damit hat der EuGH mit der Neuerteilung einen "Schnitt" gemacht und den Rückgriff auf die mit dem Versagungsbescheid getroffenen Feststellungen zur Fahrungeeignetheit des A als unzulässig erachtet.

 

Rz. 11

Wie der vorstehende Beispielsfall zeigt, kann der vom Unionsrecht aufgestellte Grundsatz der gegenseitigen unbefristeten Anerkennung leicht in einen Konflikt mit der Wahrung der Verkehrssicherheit im jeweiligen Mitgliedstaat geraten. Dieses Spannungsverhältnis bringt die Dritte Führerschein-Richtlinie im 2. Erwägungsgrund einerseits und im 15. Erwägungsgrund andererseits zum Ausdruck:

Zitat

"(2) Die...

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