Rz. 34

Auch die negative Vorbildwirkung, die von einem verbotswidrig abgestellten Fahrzeug auf andere Kraftfahrer ausgeht, und der Gesichtspunkt der Generalprävention,[64] die grundsätzlich als tragfähige Gründe zur Durchführung einer Abschleppmaßnahme anerkannt sind, bedürfen darüber hinaus der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.[65] Eine Abschleppmaßnahme hat lediglich einer effektiven Gefahrenabwehr zu dienen.[66] So setzt die negative Vorbildwirkung, die von einem verbotswidrig abgestellten Fahrzeug auf andere Kraftfahrer ausgeht, als tragfähiger Grund zur Durchführung einer Abschleppmaßnahme voraus, dass ein verbotswidrig abgestelltes Fahrzeug andere Verkehrsteilnehmer auch tatsächlich verstärkt dazu verleitet, das Fahrzeug gleichfalls verkehrswidrig abzustellen. So ist z.B. bei einem als Erstes auf einer Sperrfläche stehenden Kfz dann keine negative Vorbildwirkung gegeben, wenn sich der weitere Sperrflächenverlauf in erheblicher Weise vom Abstellort unterscheidet.[67]

 

Rz. 35

Der Gesichtspunkt der Generalprävention gilt aber nicht um jeden Preis.[68] Abschleppen dient der effektiven Gefahrenabwehr und nicht der Sanktion. Ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls klar, dass das verkehrsordnungswidrig abgestellte Fahrzeug umgehend wieder weggefahren wird, so darf – ungeachtet einer verkehrsordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfolgung – eine Abschleppanordnung in einem solchen Fall nicht aus Gründen der General- oder Spezialprävention getroffen werden.[69] Eine Abschleppanordnung wäre in der Regel nicht verhältnismäßig, da durch das Abschleppen des Fahrzeugs die Störung/Behinderung erkennbar allenfalls um einige Minuten verkürzt werden könnte. Dies gilt selbst dann, wenn sich der Störer vorsätzlich über eine ihm gegenüber mündlich ergangene Anordnung hinwegsetzt. So darf nach HambOVG eine Abschleppanordnung allerdings nicht aus Gründen der General- oder Spezialprävention getroffen werden:[70]

Zitat

"Wie der Senat schon im Zulassungsbeschluss v. 19.1.2011 unter Hinweis auf eine entsprechende Passage im Urteil des OVG v. 22.2.2005 (NJW 2005, 2247, 2250) ausgeführt hat, erlauben es weder § 27 VwVG noch § 7 Abs. 1 SOG (unmittelbare Ausführung), gegen hartnäckige "Parksünder" Abschleppanordnungen aus Gründen der General- oder Spezialprävention zu erlassen, wenn eine Möglichkeit besteht, die Störung auf andere Weise zu beseitigen. Eine Abschleppanordnung darf keinen Sanktionscharakter haben, sondern lediglich zu dem Zweck angeordnet werden, eine unmittelbar bevorstehende Gefahr abzuwehren oder eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen, und zwar nur dann, wenn dieser Zweck auf andere Weise nicht zu erreichen ist."

Gegen hartnäckige Parksünder, die sich sogar noch einer ausdrücklichen polizeilichen Aufforderung, wegzufahren, widersetzen, wird (...) nur mit konsequenter Ahndung der Verstöße mit den Mitteln des Ordnungswidrigkeitsrechts, durch die Erhebung von Verwarnungsgeldern (vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 BKatV) und schließlich die Verhängung von Geldbußen reagiert werden können. Dabei können die Verwarnungsgelder bei vorsätzlicher Begehung der Ordnungswidrigkeit (...) auch über die im Bußgeldkatalog genannten Beträge hinaus erhöht werden, da diese Beträge Regelsätze sind, die von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen ausgehen (§ 1 Abs. 2 BKatV). Schließlich kann bei wiederholten Verstößen gegen verkehrsrechtliche Vorschriften auch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen in Frage gestellt werden (vgl. § 2 Abs. 4 S. 1, § 3 Abs. 1 StVG).“

 

Rz. 36

Ausschließlich generalpräventive Erwägungen zum Anlass für Abschleppmaßnahmen zu nehmen, verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.[71] Häufig treten aber zum Gesichtspunkt der Generalprävention noch andere Gesichtspunkte hinzu, die ein Abschleppen dann nicht (mehr) als unverhältnismäßig erscheinen lassen:

Behinderung oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer,
Dauer des Verkehrsverstoßes,[72]
Funktionsbeeinträchtigung z.B. einer Fußgängerzone,[73] verkehrsberuhigten Bereichs,[74] Taxistand und Taxiverkehr,[75]
Gehwegparken und Verstellen des gesamten Bürgersteigs,[76]
Parken auf Schwerbehindertenparkplatz,[77]
Abschleppen zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit eines Busparkplatzes,[78]
gleichzeitiges Begehen einer Ordnungswidrigkeit,[79]
Gebäudeschutz,[80]
Ermöglichen der Einfahrt auf privates Grundstück,[81]
Notwendigkeit der Freihaltung von Rettungswegen; Feuerwehranfahrzonen,[82]
ein im absoluten Haltverbot (Zeichen 283; zur Freihaltung einer Aufstell- und Bewegungsfläche für die Feuerwehr) geparkter Pkw darf in aller Regel von der Polizei auf Kosten des verantwortlichen Fahrzeugführers abgeschleppt werden, wenn von dem verbotswidrig abgestellten Auto eine negative Vorbildwirkung ausgehen kann.[83] Dies gilt auch für ein im Haltverbot eines Rettungsweges längere Zeit geparktes Auto.[84]
Das Abschleppen eines Fahrzeugs, das eine in verkehrsreicher Innenstadt gelegene Haltebucht mit dem Ze...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge